Kundgebung: Justizproblem in Thüringen

Die Omas gegen Rechts und verschiedene zivilgesellschaftliche Bündnisse rufen zu einer Kundgebung unter dem Motto „Justizproblem in Thüringen – Solidarität mit den Betroffenen rechter Gewalt und keine Deals mit Nazis“ am 12. Juni 2021 um 14 Uhr auf dem Domplatz in Erfurt auf.

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Bundesgerichtshof hebt Urteil gegen elf Neonazi-Schläger im Ballstädt-Prozess auf – Keine Zweifel an der Schuld der Angeklagten, aber anhaltende Straffreiheit – Opferberatung ezra fordert schnellstmöglich neues Verfahren und sieht Verantwortung beim Landgericht Erfurt

Der Bundegerichtshof (BGH) hat das Urteil gegen die elf Angeklagten des brutalen Neonazi-Überfalls auf eine Kirmesgesellschaft im Februar 2014 aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts Erfurt zurückverwiesen. Damit bleiben die Täter*innen seit nunmehr sechs Jahren straffrei. Bei dem Angriff erlitten zehn Menschen zum Teil schwere Verletzungen. Der BGH zweifelt in seiner Entscheidung nicht an der Täterschaft der elf Verurteilten, sondern hat das Urteil wegen Formfehlern aufgehoben.

„Nach über sechs Jahren können die Betroffenen immer noch nicht abschließen und müssen die Belastungen eines Gerichtsverfahrens erneut ertragen. Die Angst vor den Täter*innen bleibt. Diese wohnen zum Teil in direkter Nachbarschaft. Die Enttäuschung über die Justiz ist groß“, kritisiert Robert Friedrich, Berater von ezra. „Die Angegriffenen fühlen sich vom Rechtsstaat alleine gelassen.“ Im ersten Prozess, der nach eineinhalb Jahren Dauer am 24. Mai 2017 am Landgericht Erfurt mit Verurteilungen von elf Angeklagten zu Haftstrafen zwischen 26 Monaten und dreieinhalb Jahren und einer Bewährungsstrafe endete, waren die Betroffenen mit 15 Angeklagten konfrontiert, die tief in der organisierten, militanten Neonazi-Szene verwurzelt sind und selbstbewusst und bedrohlich auftraten. Hinzu kam eine kontinuierliche Täter-Opfer-Umkehr durch die Neonazi-Verteidiger, die zum großen Teil bekannte Szene-Anwälte sind.

Die Verantwortung für die Aufhebung des Urteils sieht Friedrich zuallererst beim Landgericht Erfurt: „Das Landgericht Erfurt hat es nicht geschafft, nach einem kostenintensiven Großverfahren ein rechtlich sauberes Urteil zu formulieren.“ Ausschlaggebend für den Beschluss des BGHs waren im Wesentlichen handwerkliche Fehler des Landgerichts bei der Erstellung des schriftlichen Urteils. „Die bisherige Straffreiheit der Täter bleibt insbesondere für die Betroffenen absolut unverständlich, weil auch der Bundesgerichtshof an deren Schuld keine Zweifel hat. Aber auch der BGH muss sich fragen lassen, warum die Richter fast drei Jahre brauchten, um einen Beschluss zu fassen“, sagt Friedrich.

Das Signal an die Täter*innen und darüber hinaus an die gesamte Neonazi-Szene ist fatal. Deswegen fordert Friedrich abschließend, „dass das Landgericht Erfurt nach diesem schwerwiegenden Fehler, dessen Folgen vor allem die Betroffenen zu spüren bekommen, alles möglich macht, dass spätestens im Herbst 2020 ein neues Verfahren beginnt, um die Täter*innen endlich rechtssicher zur Rechenschaft zu ziehen.“

Ballstädt, Blood & Honour und der Verfassungsschutz

Derzeit gibt es keine Neuigkeiten zu der von allen Verurteilten beantragten Revision.

SWR Report Mainz berichtete gestern (11.07. um 21:45 in der ARD, Beitrag online verfügbar) über die fortgesetzten Aktivitäten von „Blood and Honour“-Strukturen nach dem Verbot der Organisation und den Einfluss des Verfassungsschutzes auf die Szene.

Fotos vom Ballstädt-Überfall dienen dem Beitrag als Beweis für die Gewaltbereitschaft, es kommen außerdem die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Gotha) und Matthias Quent (Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft, Jena) zu Wort.

MDR Thüringen weist ebenfalls auf diese Recherchen hin. 

10 Haftstrafen, 4 Freisprüche: Urteil nach 44 Verhandlungstagen

Am 24.05.2017, eineinhalb Jahre nach Prozessbeginn, sprach der Vorsitzende Richter Holger Pröbstel für die Strafkammer am Erfurter Landgericht das Urteil. Da ein Überblick über die verhängten Strafen schon in einigen Presseartikeln gegeben wurde, sollen hier zunächst die genauen Strafen für die einzelnen Angeklagten benannt werden, um danach detaillierter auf die Begründung der Strafzumessung sowie die letzten Worte des Gerichts zum Prozessverlauf einzugehen.

Thomas Wagner und Marcus Rußwurm verurteilte das Gericht zu jeweils 3 Jahren und 6 Monaten Freiheitsstrafe. Bei beiden wurden die zahlreichen Vorstrafen sowie bei Rußwurm eine weitere, ausstehende Strafe von 3 Monaten berücksichtigt.
Für Andre Keller, Tony Steinau, David Söllner, Ariane Scholl, Rocco Boitz, Stefan Fahrenbach, Christian Herrmann und Kai Lückert jeweils 2 Jahre und 2 bzw. in einigen Fällen, beispielsweise bei Steinau, 2 Jahre und 3 Monate.
Die Haftstrafe für Tim Heerlein (1 Jahr, 2 Monate) wird zunächst zur Bewährung ausgesetzt.
Johannes Baudler, Markus Blasche, Ricky Nixdorf, sowie Matthias Pommer werden aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Plädoyers der Verteidigung vom 23.05.2017

Noch einen Tag zuvor wurden die letzten sechs Plädoyers der Verteidigung gehalten und die Angeklagten hatten die Gelegenheit, einige letzte Worte an das Gericht und die Verfahrensbeteiligten zu formulieren.
Die Plädoyers lassen sich kurz zusammenfassen, da alle sechs anwaltlichen Vertretungen der Angeklagten Scholl, Steinau, Keller, Pommer, Lückert und Rußwurm einen Freispruch forderten. Zu diesem Zeitpunkt schienen die Angeklagten auch davon überzeugt, dass diese Forderung realistisch sei.

Feststellungen der Strafkammer zum Tatverlauf

In seinen Vorbemerkungen ging der Vorsitzende Richter vor allem auf die Rahmenbedingungen der eineinhalb Prozessjahre ein und stellte gleich zu Beginn klar, dass ein solcher Überfall auf eine friedliche Feier mit 10 teils schwer Verletzten auch für die Kammer ein herausragendes Ereignis darstelle und weit über den Gerichtsalltag hinausrage. Er widersprach damit der Verteidigung, die den Überfall immer wieder zu alltäglichen Körperverletzungen oder gar zur Kirmesschlägerei herunterspielen wollte, deutlich. Weiterhin erklärte er, die Kammer lasse sich weder durch Nebenklage noch Verteidigung instrumentalisieren, wobei er letzterer noch einmal klarmachte, dass er die Versuche, Täter*innen zu Opfern zu stilisieren erkannt und dafür kein Verständnis habe.

Der Vorsitzende Richter holte nun weit aus erklärte, er habe Verständnis für den zivilgesellschaftlichen Protest, der 2013, als u.a. der Angeklagte Keller das sogenannte Gelbe Haus erwarb, in Ballstädt aufkam. Die Angeklagten hätten denjenigen, die sich gegen ein Neonazi-Hausprojekt in ihrem Ort aussprachen, mit dem Überfall letztendlich recht gegeben.

Die Tatnacht begann Pröbstel in seiner Gesamtschau leider einmal mehr mit dem leidigen Thema des Steinwurfs gegen das Gelbe Haus, der bekanntlich in einem anderen Ermittlungsverfahren nicht aufgeklärt werden konnte. Die einzige DNA-Spur, die am Stein zugeordnet werden konnte, gehört dem Angeklagten Boitz. Der Vorsitzende Richter erklärte jedenfalls, die Telefonate zwischen Wagner und dessen Lebensgefährtin sowie weitere Anrufe und die Suche nach Verstärkung auf dem Weg nach Ballstädt seien bereits erste Indizien, dass hier die Konfrontation gesucht wurde.

In Ballstädt selbst habe Steinau zunächst die Veranstaltung im Kulturzentrum erkundet, bevor Wagner ankam und den Schaden am Gelben Haus begutachten konnte. Bereits hier, so Pröbstel, hätte klar sein müssen, dass die Situation in Ballstädt in keiner Weise bedrohlich war. Der normale Weg wäre gewesen, dass Keller, der Hauseigentümer, nun die Polizei gerufen und den Schaden gemeldet hätte. Stattdessen habe sich nicht nur Wagner maskiert und mit Handschuhen bewaffnet, sondern es seien etwa 15 vermummte Personen zum Kulturzentrum gelaufen. Dies und das Signal zum Rückzug wenige Minuten später ließen einen gemeinsamen Tatplan zum Angriff auf die friedliche Feier der Kirmesgesellschaft erkennen.

Zudem hätten Zeugen vom Innenhof aus gesehen, dass bis auf eine Person die gesamte Gruppe das Kulturzentrum betrat. Wer von den Angeklagten nach dem ersten Schlag durch Wagner welche Verletzungen verursacht hätte sei letztendlich egal, weil die Tat gemeinschaftlich begangen wurde. Wagner sei nicht nur aus dem Saal gedrängt worden, sondern habe Gäste aufgefordert, ihm zu folgen, und sie so in den Vorraum gelockt. Dort hätten die weiteren 10 Verurteilten „wie eine schwarze Wand“ gewartet und auf die Gäste eingeschlagen, einen Gast sogar in einen Spiegel und einen anderen über eine Theke in die Garderobe geworfen.

Begründung der Strafzumessung 

Diese brutale, feige Tat sei ein Angriff auf die Zivilgesellschaft. Bei der Strafzumessung müssten das planmäßige Vorgehen und die ungemeine Brutalität berücksichtigt werden, zudem könne die Gesellschaft solche Selbstjustiz nicht tolerieren. Bei einem Strafrahmen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren sowie üblicherweise acht bis zehn Monaten für eine „gewöhnliche“ Körperverletzung sei klar, dass das Gericht nicht beim Mindestmaß bleiben könne.

Die Einlassungen der Angeklagten seien eher „aus der Not heraus“ und teils stark unglaubwürdig gewesen, ebenfalls könne es keine Kompensation für die Dauer des Verfahrens geben. Eine Bewährungsstrafe sei lediglich für Heerlein in Frage gekommen, der mit seiner Aussage bei der Polizei das Verfahren vorangebracht habe und nun damit leben müsse, für seine Kameraden das „Verräterschwein“ zu sein, so Pröbstel.

Die Kosten des Verfahrens haben die Verurteilten zu tragen. Da es sich um eine nebenklagefähige Tat handele, so der Vorsitzende Richter abschließend, gelte dies ebenso für die Kosten der Nebenklage. Es dürfe nicht sein, dass diese Kosten auf die Geschädigten zurückfielen.

Alle Verurteilten sowie Staatsanwaltschaft und Nebenklage haben nun die Möglichkeit, innerhalb eine Woche Revision einzulegen. Gründe hierfür müssen Verfahrensfehler sein, die der Bundesgerichtshof dann zu prüfen hätte. Sollte es dazu kommen, werden wir es schnellstmöglich hier mitteilen, falls nicht sind die Urteile  ab kommenden Donnerstag rechtskräftig.

 Eine Berufung ist nicht möglich, da bereits vor dem Landgericht verhandelt wurde.

Pressemitteilung Martina Renner (MdB): Angeklagte in Ballstädt-Prozess sind Teil der Strukturen von „Blood and Honour“ und „Combat 18“

Im Folgenden sei die Pressemitteilung der Abgeordneten, die auch Mitglied im Innenausschuss des Bundestages sowie Sprecherin der Fraktion für antifaschistische Politik ist, dokumentiert.

Am kommenden Mittwoch, d. 24.05.2017, sollen vor dem Landgericht Erfurt die Urteile gegen die 15 Neonazis im „Ballstädt-Prozess“ fallen. Sie müssen sich vor Gericht wegen eines brutalen Überfalls auf die Kirmesgesellschaft in der Ortschaft Ballstädt im Landkreis Gotha im Februar 2014 mit zehn teils schwer Verletzten verantworten. Martina Renner, Sprecherin für antifaschistische Politik der LINKEN Bundestagsfraktion, wird die Urteilsverkündung besuchen und weist noch einmal auf die teils tiefe Verstrickung der Angeklagten in das Neonazi-Netzwerk „Blood and Honour“ und seinen bewaffneten Arm „Combat 18“ hin.

Die Netzwerke wurden in Deutschland 2000 verboten, sind jedoch in Thüringen weiterhin aktiv. Ohne die Betrachtung der Verstrickung der Angeklagten greift die aktuelle Aufarbeitung bei „Blood and Honour“ (B&H) und „Combat 18“ (C18) in Thüringen zu kurz. In dieser Ansicht wird MdB Martina Renner durch die Antworten der Landesregierung auf Anfragen von Katharina König-Preuß (DIE LINKE) zu C18 und B&H nur bestärkt.

Allein in zwei der drei Thüringer Rechtsrockbands „mit Beteiligung von ehem. Anhängern bzw. aktiven Mitgliedern von B&H“ sind vier Angeklagte vertreten. Zu den Mitgliedern der Rechtsrock-Band „Unbeliebte Jungs“ gehört beispielsweise Ricky N., der bereits sechs Jahre nach dem Verbot in Deutschland verdächtigt wurde, B&H fortzuführen. Bei „Unbeliebte Jungs“ spielt neben dem Angeklagten David S. auch Marcus R., der im Gerichtssaal auf dem Hinterkopf seine Tätowierung „Combat 18“ zur Schau stellt.

Weiter zur vollständigen Pressmitteilung.

42. Verhandlungstag (03.05.’17)

Der 42. Verhandlungstag sah fünf Plädoyers der Verteidigung, von denen einige nur wenige Sätze lang waren, andere sich jedoch erheblich in die Länge zogen.

Es begann RA Lippold für seinen Mandanten Thomas Wagner mit der Feststellung, die Dauer des Verfahrens sei bemerkenswert. Lippold, dessen Mandanten als Haupttäter beim Überfall auf die Kirmesgesellschaft gilt und dem vorgeworfen wird, mehrere Gäste der Feier teils schwer verletzt zu haben, stellte zudem in Frage, ob eine Nebenklagevertretung – für die Geschädigten, die sein Mandant verletzte! –  überhaupt notwendig gewesen wäre.

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41. Verhandlungstag (26.04.’17)

Der 41. Verhandlungstag begann mit vier kurzen Plädoyers der Verteidigung und setzte sich nach einer längeren Pause mit den Plädoyers der Nebenklage fort.
Rechtsanwältin Dr. Ernst richtete sich zunächst direkt an die Nebenklage und erklärte, deren Mandanten seien bei der Tat erheblich verletzt worden, was keinesfalls wegen einer eingeworfenen Scheibe zu rechtfertigen sei.

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40. Verhandlungstag (29.03.’17)

Am 40. Verhandlungstag wurde im Ballstädt-Prozess die Beweisaufnahme geschlossen. Das darauf folgende Plädoyer der Staatsanwaltschaft dauerte etwa drei Stunden. Im Folgenden sollen zunächst die Ausführungen zum formalen Prozessverlauf kurz geschildert werden, um dann ausführlicher auf die rechtliche Würdigung der Aussagen und Ermittlungsergebnisse sowie das sich daraus ergebende Strafmaß einzugehen.

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