10 Haftstrafen, 4 Freisprüche: Urteil nach 44 Verhandlungstagen

Am 24.05.2017, eineinhalb Jahre nach Prozessbeginn, sprach der Vorsitzende Richter Holger Pröbstel für die Strafkammer am Erfurter Landgericht das Urteil. Da ein Überblick über die verhängten Strafen schon in einigen Presseartikeln gegeben wurde, sollen hier zunächst die genauen Strafen für die einzelnen Angeklagten benannt werden, um danach detaillierter auf die Begründung der Strafzumessung sowie die letzten Worte des Gerichts zum Prozessverlauf einzugehen.

Thomas Wagner und Marcus Rußwurm verurteilte das Gericht zu jeweils 3 Jahren und 6 Monaten Freiheitsstrafe. Bei beiden wurden die zahlreichen Vorstrafen sowie bei Rußwurm eine weitere, ausstehende Strafe von 3 Monaten berücksichtigt.
Für Andre Keller, Tony Steinau, David Söllner, Ariane Scholl, Rocco Boitz, Stefan Fahrenbach, Christian Herrmann und Kai Lückert jeweils 2 Jahre und 2 bzw. in einigen Fällen, beispielsweise bei Steinau, 2 Jahre und 3 Monate.
Die Haftstrafe für Tim Heerlein (1 Jahr, 2 Monate) wird zunächst zur Bewährung ausgesetzt.
Johannes Baudler, Markus Blasche, Ricky Nixdorf, sowie Matthias Pommer werden aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Plädoyers der Verteidigung vom 23.05.2017

Noch einen Tag zuvor wurden die letzten sechs Plädoyers der Verteidigung gehalten und die Angeklagten hatten die Gelegenheit, einige letzte Worte an das Gericht und die Verfahrensbeteiligten zu formulieren.
Die Plädoyers lassen sich kurz zusammenfassen, da alle sechs anwaltlichen Vertretungen der Angeklagten Scholl, Steinau, Keller, Pommer, Lückert und Rußwurm einen Freispruch forderten. Zu diesem Zeitpunkt schienen die Angeklagten auch davon überzeugt, dass diese Forderung realistisch sei.

Feststellungen der Strafkammer zum Tatverlauf

In seinen Vorbemerkungen ging der Vorsitzende Richter vor allem auf die Rahmenbedingungen der eineinhalb Prozessjahre ein und stellte gleich zu Beginn klar, dass ein solcher Überfall auf eine friedliche Feier mit 10 teils schwer Verletzten auch für die Kammer ein herausragendes Ereignis darstelle und weit über den Gerichtsalltag hinausrage. Er widersprach damit der Verteidigung, die den Überfall immer wieder zu alltäglichen Körperverletzungen oder gar zur Kirmesschlägerei herunterspielen wollte, deutlich. Weiterhin erklärte er, die Kammer lasse sich weder durch Nebenklage noch Verteidigung instrumentalisieren, wobei er letzterer noch einmal klarmachte, dass er die Versuche, Täter*innen zu Opfern zu stilisieren erkannt und dafür kein Verständnis habe.

Der Vorsitzende Richter holte nun weit aus erklärte, er habe Verständnis für den zivilgesellschaftlichen Protest, der 2013, als u.a. der Angeklagte Keller das sogenannte Gelbe Haus erwarb, in Ballstädt aufkam. Die Angeklagten hätten denjenigen, die sich gegen ein Neonazi-Hausprojekt in ihrem Ort aussprachen, mit dem Überfall letztendlich recht gegeben.

Die Tatnacht begann Pröbstel in seiner Gesamtschau leider einmal mehr mit dem leidigen Thema des Steinwurfs gegen das Gelbe Haus, der bekanntlich in einem anderen Ermittlungsverfahren nicht aufgeklärt werden konnte. Die einzige DNA-Spur, die am Stein zugeordnet werden konnte, gehört dem Angeklagten Boitz. Der Vorsitzende Richter erklärte jedenfalls, die Telefonate zwischen Wagner und dessen Lebensgefährtin sowie weitere Anrufe und die Suche nach Verstärkung auf dem Weg nach Ballstädt seien bereits erste Indizien, dass hier die Konfrontation gesucht wurde.

In Ballstädt selbst habe Steinau zunächst die Veranstaltung im Kulturzentrum erkundet, bevor Wagner ankam und den Schaden am Gelben Haus begutachten konnte. Bereits hier, so Pröbstel, hätte klar sein müssen, dass die Situation in Ballstädt in keiner Weise bedrohlich war. Der normale Weg wäre gewesen, dass Keller, der Hauseigentümer, nun die Polizei gerufen und den Schaden gemeldet hätte. Stattdessen habe sich nicht nur Wagner maskiert und mit Handschuhen bewaffnet, sondern es seien etwa 15 vermummte Personen zum Kulturzentrum gelaufen. Dies und das Signal zum Rückzug wenige Minuten später ließen einen gemeinsamen Tatplan zum Angriff auf die friedliche Feier der Kirmesgesellschaft erkennen.

Zudem hätten Zeugen vom Innenhof aus gesehen, dass bis auf eine Person die gesamte Gruppe das Kulturzentrum betrat. Wer von den Angeklagten nach dem ersten Schlag durch Wagner welche Verletzungen verursacht hätte sei letztendlich egal, weil die Tat gemeinschaftlich begangen wurde. Wagner sei nicht nur aus dem Saal gedrängt worden, sondern habe Gäste aufgefordert, ihm zu folgen, und sie so in den Vorraum gelockt. Dort hätten die weiteren 10 Verurteilten „wie eine schwarze Wand“ gewartet und auf die Gäste eingeschlagen, einen Gast sogar in einen Spiegel und einen anderen über eine Theke in die Garderobe geworfen.

Begründung der Strafzumessung 

Diese brutale, feige Tat sei ein Angriff auf die Zivilgesellschaft. Bei der Strafzumessung müssten das planmäßige Vorgehen und die ungemeine Brutalität berücksichtigt werden, zudem könne die Gesellschaft solche Selbstjustiz nicht tolerieren. Bei einem Strafrahmen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren sowie üblicherweise acht bis zehn Monaten für eine „gewöhnliche“ Körperverletzung sei klar, dass das Gericht nicht beim Mindestmaß bleiben könne.

Die Einlassungen der Angeklagten seien eher „aus der Not heraus“ und teils stark unglaubwürdig gewesen, ebenfalls könne es keine Kompensation für die Dauer des Verfahrens geben. Eine Bewährungsstrafe sei lediglich für Heerlein in Frage gekommen, der mit seiner Aussage bei der Polizei das Verfahren vorangebracht habe und nun damit leben müsse, für seine Kameraden das „Verräterschwein“ zu sein, so Pröbstel.

Die Kosten des Verfahrens haben die Verurteilten zu tragen. Da es sich um eine nebenklagefähige Tat handele, so der Vorsitzende Richter abschließend, gelte dies ebenso für die Kosten der Nebenklage. Es dürfe nicht sein, dass diese Kosten auf die Geschädigten zurückfielen.

Alle Verurteilten sowie Staatsanwaltschaft und Nebenklage haben nun die Möglichkeit, innerhalb eine Woche Revision einzulegen. Gründe hierfür müssen Verfahrensfehler sein, die der Bundesgerichtshof dann zu prüfen hätte. Sollte es dazu kommen, werden wir es schnellstmöglich hier mitteilen, falls nicht sind die Urteile  ab kommenden Donnerstag rechtskräftig.

 Eine Berufung ist nicht möglich, da bereits vor dem Landgericht verhandelt wurde.

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