Der 42. Verhandlungstag sah fünf Plädoyers der Verteidigung, von denen einige nur wenige Sätze lang waren, andere sich jedoch erheblich in die Länge zogen.
Es begann RA Lippold für seinen Mandanten Thomas Wagner mit der Feststellung, die Dauer des Verfahrens sei bemerkenswert. Lippold, dessen Mandanten als Haupttäter beim Überfall auf die Kirmesgesellschaft gilt und dem vorgeworfen wird, mehrere Gäste der Feier teils schwer verletzt zu haben, stellte zudem in Frage, ob eine Nebenklagevertretung – für die Geschädigten, die sein Mandant verletzte! – überhaupt notwendig gewesen wäre.
Lippold kritisierte die These von Nebenklage und Staatsanwaltschaft, dass die Fensterscheibe im Gelben Haus von einem der Angeklagten selbst eingeworfen worden sein könnte. Für ihn (Lippold) stehe fest, dass der Stein von einer Person aus dem Kreis der Kirmesgesellschaft geworfen worden sein musste – den Beweis für diese Gegenthese blieb er auch am letzten Tag schuldig. In einer klassischen Täter-Opfer-Umkehr erklärte der Verteidiger, dass sein Mandant nur in Ruhe in Ballstädt habe wohnen wollen, die Aggressionen seien (in Form von einer Demonstration und einem Konzert, bei einigen Schmierereien konnten Täter_innen nicht ermittelt werden) von der örtlichen Bevölkerung ausgegangen.
Zum Tatabend selbst wiederholte Lippold noch einmal etwa den Ablauf, den Wagner in mehreren Aussagen dargelegt hatte. Demzufolge sei Wagner, maskiert und mit Motorradhandschuhen ausgerüstet, in das Gemeindehaus gegangen und habe den Anderen draußen gesagt, sie sollten zurückbleiben. Im Saal habe Wagner eine Person zu Boden geschlagen und sei dann herausgedrängt worden. Oberstaatsanwalt Kästner-Hengst hatte in seinem Plädoyer auf unterschiedliche Aussagen Wagners hingewiesen und klargestellt, dass Wagner offenbar lüge, wenn er beispielsweise die Anzahl der von ihm begangenen Körperverletzungen zugebe, wie es ihm gerade nützlich erscheine.
Lippold erklärte weiter, als Wagner in den Vorraum hinausging, sei von „Anderen“ auf die Gäste der Kirmesgesellschaft „eingewirkt“ worden und „die Folgen“ kenne man. Wagner habe dann mit dem Auto Ballstädt verlassen, unterschlug auch hier, dass dies wieder in der Gruppe passierte, und habe unterwegs die Beweismittel Maske und Handschuhe entsorgt. Diesen Aussagen Wagners zufolge, so Lippold, lasse sich kein gemeinsamer Tatplan erkennen. Es handele sich um eine spontane Tat unter Alkoholeinfluss. Für die „Eskalation (im Vorraum) sei nicht Wagner verantwortlich, sondern die anderen Angreifer, die Wagner gebeten hatte, doch bitte draußen zu warten.
Lippold forderte schließlich eine Bewährungsstrafe für Wagner und fügte an, bei dessen (erheblichem) Vorstrafenregister sei zu berücksichtigen, dass darunter viele Geldstrafen und bisher keine Körperverletzungen seien.
Es folgte RA Waldschmidt, der selbst mehrfach für die NPD bei Wahlen antrat und stellvertretender Landesvorsitzender der Partei in Hessen war. Waldschmidt war bereits während der Hauptverhandlung immer wieder durch irritierende Bemerkungen aufgefallen und erging sich auch in seinem Plädoyer in Referenzen auf DDR-Unrecht und mehreren Versuchen einer obszönen Täter-Opfer-Umkehr, in der er die Angeklagten unter anderem mit im Nationalsozialismus verfolgten Sozialdemokraten gleichsetzte.
Sein Mandant Herrmann, so erklärte Waldschmidt, sei jedenfalls überhaupt kein „Typ dafür“ unter Alkoholeinfluss gewalttätig zu werden. Der Verteidiger schloss eine Mittäterschaft Herrmanns aus und forderte dessen Freispruch, konnte jedoch auch keine Erklärung dafür liefern, warum an Herrmanns Hose DNA eines Geschädigten haftete, der sich nur im kleinen Saal und an der Tür zum Vorraum aufgehalten hatte und dort verletzt wurde. Die Staatsanwaltschaft betrachtete diese DNA-Spur als Nachweis dafür, dass Herrmann am Überfall „an vorderster Front“ beteiligt war und forderte eine Haftstrafe von einem Jahr, ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung.
Die weiteren Ausführungen Waldschmidts, die sichtlich auch bei den Kolleginnen und Kollegen der Verteidigung zu Ermüdungserscheinungen führten, sollen hier unerwähnt bleiben.
RA Giehler hielt sein Plädoyer kurz und schloss sich lediglich der Staatsanwaltschaft an, die für seinen Mandanten Blasche ohnehin einen Freispruch beantragt hatte.
RA Lindner schloss sich für den prozessualen Teil ebenfalls den vorhergegangenen Plädoyers an, bevor er im Detail auf die mögliche Tatbeteiligung seines Mandanten Fahrenbach einging. Dieser habe als Fahrer mehrere Personen von Suhl nach Ballstädt transportiert, sei aber etwas hinter der Gruppe zum Gemeindehaus gegangen und dort im Hof geblieben. Dies wurde von zwei Zeug_innen, die sich als Gäste der Kirmesgesellschaft im Hof aufhielten, in der Verhandlung bestätigt. Ebenfalls als gesichert gilt, dass Fahrenbach ihnen gegenüber äußerte, er habe mit dem Überfall „nichts zu tun“. Sein Rechtsanwalt deutete dies als Distanzierung von der Tat: Fahrenbach habe die Auseinandersetzung gescheut, um seine berufliche Position nicht zu gefährden. Eine psychische Beihilfe oder fördernde Funktion bei der Tatdurchführung sei ihm ebenfalls nicht vorzuwerfen.
Die Staatsanwaltschaft bezeichnete Fahrenbachs Rolle im Hof als Wachposten, der aufpassen sollte, dass die Angreifer im Gebäude nicht gestört würden – oder dass niemand aus dem Gebäude fliehen konnte. Die Distanzierung ließe sich ebenfalls so deuten, dass Fahrenbach eben doch vom Tatplan wusste und als Wachposten involviert war, das war für die Zeug_innen, denen er erklärte, er habe mit dem Überfall „nichts zu tun“, in diesem Moment schließlich nicht ersichtlich.
Die Staatsanwaltschaft beantragte für diese Tatbeteiligung eine Bewährungsstrafe von 9 Monaten, RA Lindner forderte, seinen Mandanten freizusprechen.
Das letzte Plädoyer des Tages hielt RAin Brodowsky für ihren Mandanten David Söllner. An dessen Kleidung waren DNA-Spuren von drei Geschädigten gefunden worden, was Söllner damit zu erklären suchte, dass er im Vorraum ausgerutscht sei. Die Staatsanwaltschaft hielt dies für wenig glaubwürdig und sah ebenfalls als erwiesen an, dass er nicht nur an der Auseinandersetzung im Vorraum beteiligt war, sondern sich vor dem Rückzug noch im kleinen Saal nach Beute umsah. Dort war seine DNA an einer Transportbox gefunden worden. Für diese umfangreiche Tatbeteiligung beantragte Oberstaatsanwalt Kästner-Hengst eine Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung.
Söllners Verteidigerin sah das natürlich völlig anders, wiederholte die Version, in der ihr Mandant betrunken ausrutschte und dabei irgendwie noch die Transportbox berührte, die, so Brodowsky, nun doch am Eingang zum kleinen Saal gewesen sein soll und nicht im hinteren Bereich, wie von Oberstaatsanwalt Kästner-Hengst geschildert.
Brodowsky konstruierte in einer beachtlichen Täter-Opfer-Umkehr eine Version des Tatablaufs, in der die Geschädigten sich im Gerangel gegenseitig verletzt haben könnten, sodass die Angeklagten hierfür überhaupt keine Schuld treffe, und ihr Mandant dann in die entstandenen Blutlachen hineingefallen sei.
Sie lastete der Nebenklage und „den Medien“ an, dass diese ein „politisches Verfahren“ herbeigeredet und dadurch erst die vielen Verhandlungstage verursacht hätten. Außerdem herrsche immer noch Meinungsfreiheit!
Die Anwältinnen und Anwälte der Verteidigung schienen insgesamt bereits vergessen zu haben, dass es in erster Linie ihre Mandanten waren, die mit unzähligen Verspätungen Prozesstage verzögerten oder komplett platzen ließen.
Für andere Verzögerungen, wie etwa das wochenlange Warten auf die Unterlagen des Landesamtes für Verfassungsschutz, sind ebenfalls weder Medien noch Nebenklage verantwortlich.
Die letzten Plädoyers werden am 23.05. ab 14:00 Uhr gehalten, für den 24.05. hat das Gericht das Urteil terminiert.