An diesem Verhandlungstag wird Richter Pröbstel als Zeuge vernommen, er war der vorsitzende Richter bei den Verhandlungen von 2015 bis 2017 vor dem Landgericht Erfurt. Außerdem werden Beamt*innen des LKA Thüringen vernommen sowie der ehemalige Bewährungshelfer des Angeklagten Marcus R. gehört.
Der erste geladene Zeuge ist der Vorsitzende Richter des ersten Ballstädt Prozesses, Pröbstel. Dieser rollt nochmals seine Erinnerungen auf den Prozess und die Angeklagten aus, betonte jedoch, nur noch rudimentäre Erinnerungen zu haben. So habe sich damals nur ein Bruchteils eingelassen, ein gewisser „Baude“ wurde freigesprochen. Thomas W. habe sich als zweites eingelassen. Nach seinen Angaben war dieser am Abend in Suhl auf der Geburtstagfeier, habe Alkohol getrunken und als er von dem eingeworfenen Fenster im „Gelben Haus“ hörte, telefonierte er u.a. mit K., welcher aber nicht zum Haus kam. Wer den Stein geworfen haben soll, konnte nie geklärt werden. Lediglich, dass es niemand der Geschädigten der Kirmesgesellschaft war. Die Kirmesfeier geriet ins Visier, nachdem W. und Co. feststellen mussten, dass sich ihr Anfangsverdacht, wonach es Linke aus einem Projekt in Gotha gewesen sein sollen, nicht bestätigte, nachdem sie vor Ort keine Menschen oder Aktivitäten feststellten. Tony St. sei auf die Kirmesgesellschaft aufmerksam geworden, als er durch Ballstädt fuhr um nach den potentiellen Werfer*innen zu suchen. Da sich am Stein ein Stück rote Serviette befunden haben soll, fiel sodann der Verdacht auf die Feiernden im Gemeindehaus. Vor dem Gemeindehaus sammelten sich mehrere Leute, etwa 15-20. Thomas W. soll sich dann vor Ort Handschuhe und eine Totenkopfmaske aufgezogen haben und wollte es alleine mit der Kirmesgesellschaft klären, wer das mit dem Stein gewesen sei, was unmittelbar in einem Angriff auf Anwesende der Feier endete. Pröbstel merkte an, es „sah aus wie ein Schlachtfeld, als hätte eine Bombe eingeschlagen“, nachdem die Angreifer das Gemeindehaus wieder fluchtartig verließen. Es gab zehn Schwerverletzte. Aufgrund von Alkoholkonsum seien die Erinnerungen von Wagner jedoch verschwommen, er wisse nicht, wen er bspw. geschlagen habe. Außerdem merkte Pröbstel noch die Einlassung von Stefan F. an, der während des Angriffs draußen gestanden haben möchte. Er ging außerdem noch auf die Einlassungen bzw. Aussagen von David S. ein, die ihm schwerfielen ernstzunehmen. So soll S. nach eigener Aussage derart betrunken gewesen sein, das er nicht wisse, wie er von Suhl nach Ballstädt gekommen sei, in dem Gemeindehaus sei er dann ausgerutscht und landete teils in Blut. Eine Gutachterin stellte allerdings fest, dass der Angeklagte so sehr betrunken gar nicht gewesen sein konnte. Auch Christian H., von welchem DNA gefunden wurde, kam im ersten Prozess zu einer kuriosen Einlassung. Demnach sei auch er völlig betrunken gewesen. Um zu untermauern wie betrunken er gewesen sein soll, erzählte er, dass er sich eine Zigarette falsch herum in den Mund steckte, mehrmals versuchte sie anzuzünden und sich dabei die Finger verbrannte. Er könne sich wegen seines Alkoholkonsum an nichts erinnern. Auch hier stellte die Gutachterin fest, dass auch er nicht derart berauscht gewesen sein konnte. Neben H. wurde auch die DNA von Marcus R. gefunden. Auch dieser habe allerdings Erinnerungslücken, obwohl er nichts getrunken habe. Er sei der Gruppe lediglich zum Gemeindehaus hinterhergelaufen. Vor dem Gemeindehaus stehend habe er dann gesehen, wie Thomas W. im Haus angegriffen wurde, woraufhin er ihm zur Hilfe kommen wollte und dann selbst was abbekommen habe. Das er von draußen aufgrund der Architektur des Hauses gar nicht hat sehen können was sich bei W. abspielt, wurde an diesem Verhandlungstag zu späterem Zeitpunkt nochmals betont. Tim H. habe damals bereits bei der Polizei eine Aussage gemacht, die letztendlich die Grundlage für das ganze Verfahren gewesen ist. Er machte Angaben zu Tätern bei der Polizei, sagte ihm tue es leid und stand anschließend bei den Verhandlungen auch immer alleine abseits der anderen Angeklagten. Der Richter des ersten Ballstädt Prozess, Pröbstel, deutete dies als Verstoß von H. seitens der anderen Angeklagten, da er möglicherweise als Verräter gelte. H. sagte damals auch aus, dass die benannten Angreifer alle im Saal gewesen seien. Er selbst habe aber nichts gemacht. Er selbst habe einen Baseballschläger gehabt, den er aber wegwarf. Außerdem seien die meisten vermummt gewesen. Ebenso sagte Pröbstel, dass sich auch Andre K. und Tony St. bei der Polizei einließen. Die Vorsitzende Richterin Rathemacher fragte Pröbstel anschließend zu Problemen mit dem „Gelben Haus“. Pröbstel führte aus, dass es Attacken auf das Haus gab, ebenso Schmierereien und auch mal ein Stein auf die Fassade geworfen wurde. Die Bewohner seien Rechte, über deren Immobilie Zivilcouragierte nicht erfreut waren. Die Geschädigten waren es allerdings nicht, die den Stein warfen. Er beschreibt den Angriff auf die Kirmesgesellschaft als einen „Akt sinnloser Selbstjustiz“. Auf die Nachfrage eines möglichen politischen Hintergrund des Angriffs erwiderte Pröbstel, dass keine Feststellungen diesbezüglich getroffen werden konnten. Es hätten auch „15 Hooligans oder 15 Kleingärtner sein können, die Selbstjustiz ausüben“. „Nur weil ein Nazi zuschlägt, heißt das nicht, dass das rechte Gewalt ist“, führt Pröbstel ergänzend aus. Rechtsanwalt Nahrath, Verteidigung Marcus R., fragte Pröbstel, ob sein Mandant über seine Verteidigung nicht auch im ersten Prozess eine Verständigung ersucht habe. Dies bestätigte Pröbstel zwar, allerdings war diese Verständigung nie im Bereich des ernstzunehmend gewesen und darüberhinaus war er als Richter auch nicht bereit über Deals nachzudenken. Die Verteidigung habe ihn auch nur im Hinterzimmer diesbezüglich angesprochen. Der allgemeinen Transparenz der Verfahrensführung halber habe er als Richter dieses Hinterzimmer-Angebot dann öffentlich gemacht. Rechtsanwalt Colini, Verteidigung Christian H., erfragte bei Pröbstel ob H. Hose untersucht wurde, was Pröbstel bestätigt und meinte, dass dort Blut gefunden wurde, soweit er sich erinnern könne. Die Richterin korrigierte ihn dahingehend, dass H. Blut an der Hose eines Geschädigten gefunden wurde.
Der Zeuge wird entlassen.
Als zweiter Zeuge ist S. R. ein LKA Beamter geladen, dessen Zuständigkeit die Strukturaufklärung rechter Straftaten ist. Er war Leiter der Arbeitsgruppe ‚Ballstädt‘ mit 15 Beamt*innen. Der VS hörte damals bei einem Telefonat von W. mit und gab den ermittelnden Beamt*innen den Hinweis, dass es am „Gelben Haus“ zu einer Sachbeschädigung kam und W. dorthin wollte um aufzuklären. Es kam nach dem Angriff zu Hausdurchsuchungen bei Tony St. und Christian H., bei wem noch, dass wisse er nicht mehr. Ebenso sei durch ein Blitzerfoto Stefan F. und Johannes B. identifiziert worden. Die geschalteten Telekommunikationsüberwachungen (folgend TKÜ) bei den Verdächtigen waren allerdings nicht sehr ergiebig, da die Tatverdächtigen wohl mit der Überwachung ihrer Telefone rechneten. Der Zeuge merkte auch an, dass die von David S. bei der Tat getragene Hose, nicht mal gewaschen wurde, sondern er diese beim Sport trug.
W. kam damals in Untersuchungshaft, räumte dort die Körperverletzung ein, ebenso das er maskiert war und Handschuhe trug. Ariane Sch. soll damals das Warnsignal gegeben haben das Gemeindehaus zu verlassen ehe Polizei eintrifft. Alle Angreifer flüchteten anschließend zu Fuß bzw. Auto. Die Geschädigten gaben nach dem Angriff an, dass ihnen die Angreifer nicht namentlich bekannt waren, die Vermutung aber war, dass sie vom „Gelben Haus“ stammen, was sie an der körperlichen Statur festmachten. Auf die Frage durch die Richterin wie die Beamt*innen auf die Tatverdächtigen kamen, führte der Zeuge aus, dass es zum einem zwei Hinweise durch den Verfassungsschutz gab, aber vor allem die Vernehmung von Tim H. aufschlussreich war, da dieser die Personen nannte, bestätigte das manche davon zuvor in Suhl waren und mindestens anschließend vor Ort in Ballstädt. Die Angreifer raubten bei dem Angriff ein Handy. Dieses wurde anschließend überwacht. Da aber die IMEI Nummer ausgeschaltet wurde und dieses nie wieder aufgetaucht ist, verlief dies ergebnislos. Es war ebenfalls nicht mehr zu orten und wurde auch bei keiner Durchsuchung gefunden. Zur Motivlage der Angreifer*innen führte der Zeuge ebenso eine Vergeltungsaktion an, da es immer wieder kam es zu Sachbeschädigungen am „Gelben Haus“ kam und am besagten Tag eben eine Scheibe eingeworfen wurde. Thomas W. und Co. gingen von einem Angriff des politischen Gegners aus, weswegen sie zu erst zu einem verdächtigtem Objekt nach Gotha fuhren. Da sie dort aber keine Aktivität feststellten und Tony St. in Ballstädt eine Feier im Gemeindehaus ausgemacht hatte, richtete sich ihr Fokus auf die Feiernden im Gemeindehaus. Insbesondere da ein Stück Serviette an dem Stein gefunden wurde und sie diese Ähnlichkeiten mit den Servietten aus den Räumlichkeiten des Gemeindehaus hätten, wie W. angegeben habe. Anschließend wurden mehrere Lichtbilder aus dem Gemeindehaus in Augenschein genommen, die nach dem Angriff durch Beamt*innen aufgenommen wurde. Es wurden Fotos der Geschädigten und deren Verletzungen gezeigt, wie auch ein Foto von W. mit besagter Totenkopf Maske
Der Zeuge wird entlassen.
Rechtsanwalt Held, Verteidigung Tony St., gibt eine kurze Erklärung ab. Demnach war St. mit im Vorraum des Gemeindehauses, sei dann aber wieder raus. Tony St. bestätigt diese Erklärung.
Richterin Rathemacher kommt auf die derzeitige U-Haft von drei Angeklagten zu sprechen. Nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft Gera befände sich das andere Verfahren noch im Status des Ermittlungsverfahrens, es sei noch nicht zur Anklage gekommen und es lägen auch keine richterlichen Geständnisse der Inhaftierten vor. Andre K. und Rocco B. bestätigen, dass sie auch hier keine Angaben zum Verfahren machen werden.
Dritter Zeuge an diesem Tag ist der ehemalige Bewährungshelfer des Angeklagten Marcus R.. Seine Einschätzung beziehen sich auf die Zeit bis zum 6. August 2020, da an diesem Tag die Bewährungszeit von R. endete. Zum damaligen Zeitpunk hatte R. soziale Kontakte wie zu seinem Vater, bei dem er wohl auch gelegentlich arbeitete, ebenso seien keine neuen Straftaten bekannt gewesen, er bezog ALG 2 und hatte ab und an geringfügige Beschäftigungen im Security-Gewerbe. Er lebe abstinent von Drogen und Alkohol. 2007 kam er in eine Erziehungs-Maßregel, die er erfolgreich beendet habe. Termine bei seinem Bewährungshelfer habe er im Großen und Ganzen verlässlich eingehalten. Er hatte in dieser Zeit noch offene Verfahren aus der Vergangenheit laufen, weswegen er seine berufliche Perspektive hinten anstellen musste, da er bspw. wöchentliche Verhandlungen hatte. Zuvor habe er als Zimmermann in der Schweiz gearbeitet. Marcus R. befand sich damals in einer Beziehung, mit der er 2017 ein Kind bekam. Gegenwärtig sei er wieder in einer Beziehung, bekommt ALG2 und erwartet ein weiteres Kind (Stand 2020). Der Bewährungshelfer meinte, dass er eine bewusste Einstellungsveränderung bei R. ausmachen konnte. Er habe sich nach der Verurteilung um Arbeit bemüht. Im September 2018 sei dann seine Beziehung auseinandergegangen.
Rechtsanwalt Gaspar merkte an, dass R. wieder mit der Mutter der Kinder zusammen ist. Die Richterin fragte den Zeugen zu seiner persönlichen Einschätzung der angesprochen Einstellungsveränderung. Dieser gibt an, dass R. seit 2002 ständig mit der Justiz zu tun hatte, seit er allerdings in Suhl lebte, sei er zur Ruhe gekommen, sein Sohn sei ihm wichtig gewesen, er habe seinem Vater bei dessen Betrieb geholfen und wollte für seine Familie da sein. 2017 sei seine letzte Straftat gewesen, eine Sachbeschädigung. Die Sozialstunden dafür leistete er ab. Seit dem Ende der Bewährungszeit im August 2020 habe er keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt. Zusammenfassend sagt er, er würde die Sozialprognose als „nicht ungünstig“ einschätzen.
Nachdem der Zeuge entlassen ist, gibt die VR bekannt, dass das Gericht sich ungebrochen an den Deal gebunden fühle. Nach einer längeren Pause ergreift Rechtsanwalt Hoffmann von der Nebenklage das Wort. Er führt aus, dass die Feststellung der Dealgebundenheit nach den Nachbesserungen von Tony St. eine Vorwegnahme darstelle, da das Gericht immer noch nicht über den Beweisantrag der Nebenklage entschieden habe. Dennoch werden sie keinen neuen Befangenheitsantrag stellen. Es sei das eingetreten, was sein Mandant befürchtet hatte, dass das Gericht nicht unvoreingenommen ist. Vielmehr sieht die Nebenklage, dass das Gericht befangen sei. Wie zuvor der ehemalige Vorsitzende Richter aus dem ersten Prozess sinnbildlich aussagte, man könne nicht bei jeder Straftat durch einen Nazis von einer rechten Tat sprechen. Die Tat wird damit erneut als eine unpolitische verhandelt. Außerdem hat das Gericht deutlich gemacht, dass es nicht einmal die Beweisanträge der Nebenklage ernstnimmt. Sein Mandant gibt entsprechend an diesem Punkt auf, er fühlt sich vom Gericht nicht vertreten.
Die vorsitzende Richterin Rathemacher erwiderte , sie hätte sich lediglich verpflichtet gefühlt, unverzüglich Position zum Deal zu beziehen, über den Beweisantrag der Nebenklage könne noch bis zum Ende der Beweisaufnahme, die noch nicht abgeschlossen sei, entschieden werden.
Letzter Zeuge an diesem Verhandlungstag ist H.-D. H., ein Beamter des LKA. Er erfuhr erst 30 Minuten vor seinem Erscheinen von seiner heutigen Zeugenaussage, weswegen er sich nicht darauf vorbereiten konnte. Er sei damals für die Tatortdokumentation zuständig gewesen. Er habe aber kaum noch Erinnerungen an die Angelegenheit. Ihm wurden mehrere Fotos des Tatorts gezeigt, bei denen er aber nicht viel mehr tat als auf den Fotos offensichtliches zu bestätigen.
Zum Abschluss las die vorsitzende Richterin die Bundeszentralregister Einträge vom 22. April 2021 der Angeklagte vor.
Thomas W. – 24 Einträge.
Marcus R. – 20 Einträge.
Stefan F. – drei Einträge.
David S. – zwei Einträge.
Christian H., Rocco B., Tony St., Andre K. hatten bis dato keine Einträge.
Zum Schluss stellte die Vorsitzende Richterin Rathemacher fest, dass der Inhalt der Haftbefehle gegen Thomas W., Andre K. und Rocco B. gerichtsbekannt seien. Außerdem sollen sich alle Beteiligten für den kommenden Verhandlungstag auf Plädoyers vorbereiten.