Der 28. Verhandlungstag im Ballstädt-Prozess begann mit der angekündigten Einlassung des Angeklagten Wagner, die von dessen langjährigem Verteidiger, RA Lippold, verlesen wurde.
Dies war jedoch kein Geständnis, vielmehr fielen Wagner und Lippold in ihrer Darstellung der Tatnacht weit hinter den derzeitigen Kenntnisstand in der Verhandlung und teils selbst hinter Wagners vorherige Aussagen zurück. Der Vorsitzende Richter sah das offenbar ähnlich und regte an, Wagner möge doch in seiner nächsten Einlassung neue Informationen beisteuern, wenn er mit seiner Aussage auf eine positive Bewertung im Urteil abziele.
Eine umständliche Darstellung der angeblichen Vorgeschichte, in der die Bewohner_innen des Neonazi-Hausprojekts im Ort nicht willkommen gewesen wären, sollte offenbar den Überfall entschuldigen.
Zum Tatabend selbst gab Wagner an, er sei gegen 21:00 Uhr beim Geburtstag des Zeugen B. gewesen, als der Angeklagte Keller einen Anruf erhalten und von der zerstörten Scheibe im gelben Haus erfahren habe. Wagner habe dann, so die Darstellung, aus Angst um Freundin und Hund, die sich in dem Objekt aufhielten, eine Anzahl Personen in mehreren Autos mobilisiert und einen weiteren Freund telefonisch gebeten, dasselbe zu tun. Statt direkt zum gelben Haus zu fahren und dort nach dem Rechten zu sehen, sei man allerdings zunächst zu einem linken Hausprojekt in Gotha gefahren, weil man dort die Schuldigen für den Steinwurf vermutete.
Im weiteren Verlauf gab Wagner an, am Stein im „Tatort gelbes Haus“ ein Stück rote Serviette gesehen und diese – später – im Veranstaltungsaal wiedererkannt zu haben. Bemerkenswert daran ist, dass diese Serviette – nach andauernder Erwähnung durch die Verteidigung – spätestens mit dem 21. Verhandlungstag als Beweismittel in Wagners Sinne erledigt schien, denn die einzige DNA-Spur an der Serviette führte zum Mitangeklagten Boitz.
Wagner sei dann, ausgestattet mit Totenkopfmaske und Handschuhen mit Stoffprotektoren – frühere Aussage, die sich mit denen mehrerer Zeugen und den entstandenen Verletzungen deckt: Kunststoffprotektoren – die etwa 700 Meter zur Feier der Kirmesgesellschaft im Saal gelaufen, wobei ihm fünf oder sechs Personen gefolgt seien, die er aber nicht näher benennen könne, obwohl sie zur Gruppe gehörten, die mit ihm aus Suhl nach Ballstädt gefahren waren.
Der Überfall auf die Kirmesgesellschaft, bei dem über zehn Personen zum Teil schwer verletzt wurden, wurde in der Täter-Opfer-Umkehr von Lippold zu einer Art Notwehrhandlung Wagners, der zwar die Konfrontation mit den ersten zwei Gästen gesucht habe (mit erheblichen Folgen für diese beiden Gäste), dann aber nicht, wie der bisherige Kenntnisstand, aus dem Saal gedrängt wurde, sondern vielmehr von mehreren Gästen hinausgeprügelt. Nur aus diesem Grund seien dann die fünf bis sechs Personen – und nicht die in der Anklage benannten 14 – zur Hilfe geeilt. Ergebnis dieser Hilfe: weitere Verletzte unter den teils stark angetrunkenen Kirmesgästen, darunter bei einer Person, die nach überstimmender Darstellung mehrerer Zeugen auf dem Tisch schlief. In der Darstellung habe Wagner ein „die verprügeln Tommi“ gehört, aber weder hören noch sehen können, wer genau ihm da zur Hilfe eilte. Lediglich die Maskierung und der erste Schlag, der „die Eskalation“ ausgelöst habe, waren Wagner eine Entschuldigung wert.
Die Aussagen der Geschädigten zum Verlauf des Angriffs und ihren Verletzungen sind u.a. in den Berichten vom fünften und sechsten Verhandlungstag detailliert nachzulesen, bewegte Bilder aus dem Saal zur Kontextualisierung dieser Zeugenaussagen gibt es u.a. hier.
Der Angeklagte Söllner ließ für nächste Woche eine Einlassung ankündigen, die Verteidigung Rußwurms wich einen konkreten Termin für eine Aussage erneut aus, man werde „mal sehen“ wann er sich einlasse. Von beiden Angeklagten wurden am Tatort DNA-Spuren nachgewiesen, in Söllners Wohnung wurden nach der Tat Kleidungsstücke mit Blutspuren von drei Angeklagten festgestellt.
Der Vorsitzende Richter Holger Pröbstel ermunterte die Verteidigung, sich einen Termin für weitere Einlassungen zügig zu überlegen, die Kammer wolle die Beweisaufnahme im Dezember schließen.
Zudem verlas Pröbstel den Beschluss der Kammer zu den Widersprüchen, die die Verteidigung an den vergangenen Verhandlungstagen gestellt hatte. Die Widersprüche sollten die Anhörung der beiden Beamt_innen, die den Angeklagten Heerlein vernahmen, verhindern. Der Beschluss wies sie jedoch zurück und der Vorsitzende Richter kündigte an, die Polizist_innen würden in der kommenden Woche vernommen werden.
Die Kammer bewertete hierbei sowohl die Anordnung der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) gegen Thomas Wagner als auch die Übermittlung von Daten aus der TKÜ an das LKA für zulässig, unter anderem weil zu diesem Zeitpunkt ein Ermittlungsverfahren nach 129a gegen Wagner lief. Darüber hinaus sei, entgegen einem weiteren Widerspruch von RA Windisch, Heerlein in seiner polizeilichen Vernehmung korrekt belehrt worden.
Die Vernehmung der Beamt_innen sowie die Einlassung des Angeklagten Söllner sind für kommenden Mittwoch, den 30.11.2016 geplant. Der Verhandlungstag im Landgericht Erfurt beginnt wie gewohnt um 09:30 Uhr.