Prozessdokumentation: 9. Verhandlungstag (09.03.2016)

Am neunten Verhandlungstag wurden insgesamt fünf ZeugInnen vernommen. Der Vorsitzende Richter bestätigte außerdem, dass Oberstaatsanwalt Kästner-Hengst, der am vergangenen Verhandlungstag angeboten hatte, im Zusammenhang mit der Haftentlassung des Angeklagten Wagner selbst auszusagen, für den 27.04.2016 als Zeuge geladen ist.

Der erste Zeuge beschrieb in freier Rede bereits recht präzise, wie er den Tatabend erlebte. Er habe mit einem weiteren Gast im Vorraum gestanden, als eine unbekannte Person an ihnen vorbei in den kleinen Saal gelaufen sei. Da die Person, bis auf die Augen, komplett vermummt gewesen sei und über dem Mund eine Art Motorradmaske mit Totenkopfmotiv getragen habe, hätte er zunächst an eine Art Scherz geglaubt und sei selbst erst in den Saal gelaufen, als von drinnen Schreie zu hören gewesen seien. Er selbst erinnere sich, dass der Unbekannte eine Cargohose getragen habe; von Quarzsandhandschuhen, die der Angreifer möglicherweise trug, habe er von anderen gehört, selbst aber nicht darauf geachtet.

Als er den Saal betreten habe, sei ihm der Unbekannte bereits wieder entgegen gekommen. Er habe sich umgedreht, sei dem Maskierten gefolgt und dann in Folge eines Schlages zu Boden gegangen. Er sei bewusstlos gewesen und könne sich nicht erinnern, wer genau ihn geschlagen habe, er erinnere sich aber an keine anderen Personen als diesen ersten Angreifer.
Er erinnere sich daran, aufgewacht zu sein, und in diesem Moment bereits die Sirenen der ankommenden Rettungswagen gehört zu haben. Er sei in Spiegelscherben gefallen, beziehungsweise in diesen liegend aufgewacht; auf die Frage des Vorsitzenden Richters antwortete er, es sei durchaus möglich, dass jemand ihn in den Spiegel geworfen habe. Neben den dadurch entstandenen Schnittverletzungen seien im Krankenhaus Gotha großflächige Hämatome am Oberkörper, ein Schädel-Hirn-Trauma sowie eine Platzwunde am Jochbein und eine aufgeplatze Oberlippe festgestellt worden. Vor allem die Hämatome am Oberkörper seien so großflächig gewesen, dass sie laut des behandelnden Arztes nicht durch den Sturz verursacht worden sein könnten. Der Arzt habe vielmehr massive Schläge als Ursache vermutet. Der Zeuge sagte, er habe später von anderen Gästen gehört, dass zwei oder drei Personen ihn angegriffen hätten.

Auf die folgenden Fragen der Verteidigung antwortete er zunächst, dass es bei der Feier im Saal zwar rote Servietten gegeben habe, er sich aber nicht vorstellen könne, dass einer der Gäste die Scheibe im gelben Haus eingeworfen habe. Er habe außerdem früher selbst in diesem Gebäude gewohnt und wisse, dass dieses von bekannten Rechtsradikalen gekauft wurde.

RA Lippold fragte den Zeugen, wie der maskierte Unbekannte aus dem Saal gedrängt wurde und ob er selbst diesen umklammert oder in anderer Weise gehindert habe, den Saal zu verlassen. Der Zeuge verwies jedoch auf die durch Bewusstlosigkeit und Kopfverletzung verursachte Erinnerungslücke, woraufhin der Vorsitzende Richter ergänzte, bei solchen Verletzungen seien Erinnerungslücken normal. Er würde sich vielmehr wundern, wenn das nicht so wäre.

2. Zeuge / 4. Zeugin

Der zweite Zeuge, der derzeit ein Studium bei der Bundeswehr absolviert, erklärte, er habe die Feier gemeinsam mit seiner Freundin zwischen 01:30 und 02:00 Uhr verlassen. Die Feier selbst sei, wie immer, schön gewesen. Er habe seit 2002 jedes Jahr an der Dankesfeier der Kirmesgesellschaft teilgenommen und es habe in diesem Jahr keine Auffälligkeiten gegeben. Wie immer wären fast alle geladenen Gäste auch gekommen, insgesamt 50-60 Personen. Gegen 01:30 Uhr wären vor allem die älteren Gäste nicht mehr dort gewesen; er sei dann auch gegangen, weil seine Freundin keine Lust mehr gehabt habe.

Direkt vor der Tür, im Innenhof des Gebäudes, habe ein dunkelgrüner Golf IV mit auswärtigem Kennzeichen geparkt. Die Insassen hätten ihn herangerufen und gefragt, was im Saal für eine Veranstaltung stattfinden würde. Er habe geantwortet, es sei eine geschlossene Veranstaltung der Kirmesgesellschaft und mit Blick auf das Kennzeichen gefragt, was die Insassen im Innenhof wollten. Eine Frau habe geantwortet, dass ihm das egal sein könne. Neben der Frau sei nur eine weitere Person im Auto gewesen, die er als den in diesem Verfahren angeklagten Tony Steinau identifiziert habe.

Als sie auf dem Heimweg am gelben Haus vorbei gegangen seien, habe er die zerstörte Scheibe gesehen. In diesem Moment sei auch der grüne Golf am gelben Haus angekommen und habe dort geparkt, jedoch ohne, dass Tony Steinau oder seine Begleitung ausgestiegen wären. Steinau sei ihm vor allem bekannt gewesen, weil er mit diesem Auto häufiger durch Ballstädt fahren würde, er wisse außerdem dass Steinau im gelben Haus wohne und es sei ihm bekannt, welches Personenspektrum dort 2013 eingezogen sei. Die Begleitung aus dem grünen Golf habe er später unter dem Facebook-Pseudonym “Sissi Von DerAlm” wiedererkannt. Es handele sich dabei vermutlich im Christina H., allem Anschrein nach die Freundin von Tony Steinau. 

Darüber hinaus sei er mit den Bewohnern des Neonazi-Hausprojektes nur einmal in Kontakt gekommen: In der Silvesternacht habe er mit seiner Freundin an der Bushaltestelle gestanden, die unmittelbar neben dem gelben Haus liegt. Plötzlich sei eine Gruppe aus dem Gebäude gekommen und habe sie eingekreist, die Situation sei damals von einem Freund beruhigt worden.

Er habe in dem Moment, in dem er aus dem grünen Golf heraus angesprochen wurde, nicht vermutet, dass Steinau oder andere ein Interesse daran haben könnten, die Feier aufzusuchen. Wäre das anders gewesen, wäre er wieder hinauf gegangen und hätte von dieser Begegnung berichtet. Stattdessen sei er heimgegangen und habe auf dem Weg noch eine kurze Whatsapp-Nachricht über den Vorfall geschrieben. Diese Nachricht sei zwar an eine Gruppe von Freunden gegangen, von denen einige auch bei der Feier gewesen wären, er habe sie jedoch nicht als Warnung geschrieben, sondern eher, um sich darüber zu amüsieren. Auch auf weitere Fragen der Verteidigung hin erklärte der Zeuge, er habe sich lediglich gewundert, aber nicht ansatzweise an eine Bedrohung gedacht. Heute mache er sich Vorwürfe, dass er nicht anders reagiert und die Gäste direkt benachrichtigt habe.

Gegen 04:00 Uhr, er habe längst geschlafen, habe er einen Anruf erhalten, dass die Feier überfallen worden sei. Er habe zunächst einen nächtlichen Scherzanruf vermutet, bis er wenige Augenblicke später Fotos vom zerstörten Saal zugeschickt bekommen habe. Er sei dann noch einmal dorthin gefahren, habe mit anderen Geschädigten und der Polizei gesprochen und gehört, dass der Überfall von 15 – diese Zahl sei “hängen geblieben” – Tätern gegeben habe und der Angriff wie geplant wirkte, auch weil draußen eine Person mit Stoppuhr gewartet habe.

Nach der bereits häufiger thematisierten roten Serviette befragt antwortete der Zeuge, er habe zu diesem späteren Zeitpunkt im Innenhof ein Geschenk gesehen, dass offenbar jemand aus dem Saal mitgenommen und dort fallen gelassen habe. Diese Geschenke seien auch mit roten Servietten dekoriert gewesen und er könne sich nicht erklären, wer eines davon mit in den Innenhof genommen habe. Er denke nicht, dass das jemand von der Kirmesgesellschaft gewesen sei. Möglicherweise stamme die im gelben Haus gefundene Serviette auch von diesem Geschenk?

Warum von der Sachbeschädigung die Verbindung zur Kirmesgesellschaft gezogen wurde, frage er sich jedenfalls auch, erklärte der Zeuge dem Vorsitzenden Richter. Er glaube nicht, dass die Scheibe von einem Gast der Feier oder überhaupt von jemandem aus Ballstädt eingeworfen worden sei, da sich so etwas im Dorf sonst schnell herumgesprochen hätte.
Darüber hinaus habe sich seit der Tat im Dorf einiges geändert: Früher habe man bei Kirmesfeiern keine Security gebraucht, es sei ein friedliches Dorf gewesen – heute würde bei jeder Feier ein Sicherheitsdienst beauftragt. Dabei wären die Mitglieder der Kirmesgesellschaft und ihre Gäste doch keine professionellen Schlägertypen, sondern friedliche Leute!
Umso schockierter sei er gewesen, als in der ersten Polizeimeldung nach dem Überfall die Rede davon gewesen sei, dass die Kirmesgesellschaft eine Kneipenschlägerei mit der Wirtin angezettelt hätte. Die Kneipe habe vor Jahren geschlossen, nachdem in der Regel nicht mehr als drei Stammgäste dort gewesen seien.
In ersten Zeitungsmeldungen, die sich auf diesen Polizeibericht bezogen, war zum Teil ebenfalls die Rede von einer Kneipen- oder Kirmesschlägerei, die Gäste mit der Wirtin oder dem Wirt provoziert hätten. Angesichts der Anklage, die im Prozess verhandelt wird, und auch dessen, was bisher alle Zeugen weitgehend übereinstimmend berichtet haben, eine kaum nachvollziehbare Täter-Opfer-Umkehr.

Den Rechtsanwälten der Verteidigung, die offenbar gerne mehr über die Whatsapp-Nachricht und ihre Empfänger sowie sonstige Kommunikation in der Gruppe erfahren wollten, konnte der Zeuge nur bedingt weiterhelfen. Er erinnere sich an die genaue Uhrzeit der Nachricht, weil er diese in der polizeilichen Vernehmung nachgelesen und benannt hätte. Da sich die Polizei aber nicht für den Inhalt der Nachricht interessiert habe, sei nur die Uhrzeit protokolliert worden. Heute besitze er ein neues Handy und lösche auch Nachrichten so regelmäßig, dass er diese Inhalte nicht mehr abrufen könne. Als RA Ernst anbot, er könne die Liste der Nebenkläger vorlesen und der Zeuge sollte dann benennen, wer davon diese Nachricht empfangen habe, erwiderte der Zeuge, er kenne die Namen, die Geschädigten wären schließlich seine Freunde, er könne aber heute nicht mehr sagen, wer damals in der Whatsapp-Gruppe gewesen sei.

Zum Bündnis gegen Rechts in Ballstädt, nach dem RA Lippold fragte, erklärte der Zeuge, dieses habe es vor allem 2013 gegeben, als in den Medien darüber berichtet wurde, dass das gelbe Haus von rechtsextremen Personen gekauft wurde. Man habe zeigen wollen, dass Ballstädt ein weltoffenes Dorf sei.

Die Freundin des Zeugen, eine 33-jährige Erzieherin, sagte später als vierte Zeugin des Tages aus. Sie bestätigte, dass es ein schöner Abend mit der Kirmesgesellschaft gewesen sei und sie gegen 01:30 Uhr nach Hause gehen wollte. Vor dem Gebäude habe der dunkelgrüne Golf geparkt, der auch ihr dadurch bekannt sei, dass der Angeklagte Tony Steinau damit des öfteren durch Ballstädt fahre. Sie habe Steinau erkannt und die Frau für seine Freundin gehalten. Diese habe sie später ebenfalls auf dem Facebook-Profil wiedererkannt, als ihr Freund ihr dieses gezeigt habe, und dieses in der polizeilichen Vernehmung benannt. Sie habe den Eindruck gehabt, das Profil „Sissi Von DerAlm“ und dessen Nutzerin seien der Polizei bekannt gewesen.

Die Zeugin erinnerte sich ebenfalls, dass der Golf in der Zeit, in der sie und ihr Freund zu Fuß bis zum gelben Haus gegangen seien, ebenfalls dort angekommen sei und vor dem Haus geparkt habe. Sie und ihr Freund wären dann weiter nach Hause gegangen und hätten um 04:00 Uhr den Anruf, dass es einen Überfall gegeben habe, und kurz darauf Fotos erhalten. Sie seien dann zurück zum Saal gefahren, dort sei alles voller Blut gewesen und der Boden voller Scherben gewesen. Es sei ihr berichtet worden, dass mehrere vermummte Männerr die Gäste angegriffen hätten und dass man vermute, dass dieser Angriff mit dem gelben Haus zusammenhänge. Sie wisse jedoch nicht mehr, warum.

An die Nachricht, die ihr Freund nachts geschrieben habe, erinnerte sich die Erzieherin ebenfalls. Sie hätte eine solche Nachricht selbst nicht geschrieben, allerdings sei sie auch müde gewesen und habe endlich nach Hause gehen wollen. Die Nachricht sei eher lustig gemeint gewesen und habe keine tiefere Bedeutung gehabt. Später, nach dem Angriff, habe man die Begegnung dann mit dem Überfall verknüpft.

Der dritte Zeuge erklärte, er habe gegen 02:00 Uhr seinen Bruder von der Feier der Kirmesgesellschaft abholen wollen. Dieser habe ihn etwa zehn Minuten zuvor angerufen und stand bereits draußen an der Hauptstraße, als er mit dem Auto angekommen sei. In diesem Moment habe er etwa zehn maskierte und schwarz gekleidete Personen, vermutlich Männer, vom Innenhof des Kulturzentrums kommend, vorbei am Auto, in dem er saß, in Richtung des gelben Hauses laufen sehen. Es sei alles sehr schnell gegangen, er habe auf Grund der Statur der Personen angenommen, dass es sich um Männer gehandelt habe. Auf die Frage der Staatsanwaltschaft, ob es, da die Personen vermummt waren, nicht auch alles Frauen gewesen sein könnten, erklärte er, dass er sich das nicht vorstellen könne, allerdings auch nicht sicher sei.

Er sei dann mit seinem Bruder noch einmal in den Saal und sei von dem Anblick, vor allem von dem Blut auf dem Boden und den Verletzten, geschockt gewesen. Als die Polizei ankam, habe er noch einen Alkoholtest machen müssen.

Als sie dann gefahren seien, habe er, noch im Ort, auf der Landstraße eine auffällige Gruppe von Fahrzeugen gesehen, die alle mit eingeschaltetem Licht an der Straße standen.

Fünfte Zeugin

Die fünfte und letzte Zeugin des Tages beschrieb, sie habe sich zum Zeitpunkt des Angriffs von der Bar aus die Diashow von der Kirmesfeier angesehen. Sie habe von dort gesehen, wie ein bis unter die Nase vermummter Unbekannter auf einen Gast zuging, diesem etwas zugeflüstert und und ihm dann unvermittelt und frontal einen Schlag ins Gesicht versetzt habe. Auch sie habe das Auftreten des Unbekannten, der muskulös und mindestens 180 bis 185cm groß gewesen sei, wegen seiner Vermummung mit Kapuzenpullover und Skelett-Tuch zunächst für einen Scherz gehalten.

Als daraufhin andere Gäste versucht hätten, den Angreifer aus dem Saal zu drängen, sei sie zu ihrem Freund gelaufen und habe deshalb nicht sehen können, ob der Angreifer noch weitere Schläge ausgeführt habe. Von dort aus habe sie dann gesehen, wie der erste Unbekannte den Saal verließ und danach einige Gäste die Tür zuzuhalten versuchten. Diese sei jedoch wieder aufgegangen und sie habe nur eine „schwarze Wand“ gesehen – mehrere dunkel gekleidete Personen, die den Raum betraten. Sie sei dann durch den Hinterraum in die abgeschlossene Kneipe im Erdgeschoss gelaufen, um sich in Sicherheit zu bringen, deshalb habe sie weder das Geschlecht der Unbekannten erkennen, noch sehen können, ob diese Masken trugen. Von unten habe sie gehört, dass es oben gepoltert habe, weil Stühle umgekippt und auf dem Boden aufgeschlagen seien. Als sie zurück in den Saal gegangen sei, wäre dieser verwüstet und überall sei Blut gewesen, mehrere Verletzte hätten auf den Stühlen gesessen und im Vorraum hätten Scherben vom Spiegel auf dem Boden gelegen.

Zum Abschluss des Verhandlungstages erfolgte noch eine Erklärung der Nebenklage in Person von RA Hoffmann. Diese bezog sich auf den von RA Junge gestellten Widerspruch, in dem dieser ein Beweismittelverwertungsverbot für die Aussage seines Mandanten Andre Keller gefordert hatte. Hoffmanns Erklärung zufolge hätte dieses Verwertungsverbot keine Grundlage, da der Angeklagte Keller in der polizeilichen Vernehmung korrekt über seine Rechte belehrt wurde und diese Belehrung auch im Protokoll unterschrieben habe.
RA Junge habe geltend gemacht, sein Mandant hätte über sein Aussageverweigerungsrecht und das Recht, einen Anwalt einzuschalten, belehrt werden müssen, was erfolgt sei. Laut Protokoll sei Keller zunächst als Beschuldigter vernommen worden und entsprechend korrekt belehrt worden, was im Protokoll durch die Formulierung “nach Belehrung möchte ich mich äußern” ersichtlich und von Keller durch seine Unterschrift als korrekt bestätigt worden sei. Im Protokoll sei keine Einschränkung ersichtlich, auch als Keller als Zeuge befragt und hierfür erneut belehrt worden sei.

Die von RA Junge angeführten Referenzfälle bezögen sich auf Fälle, in denen jemand erst als Zeuge und dann als Beschuldigter vernommen worden wären, während es im vorliegenden Fall genau anders herum sei. Ein Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot könne demnach nicht geltend gemacht werden. Die Staatsanwaltschaft schloss sich dieser Bewertung an.

Die Verhandlung endete um 14:00 Uhr und wird voraussichtlich am 16.03. um 09:30 fortgesetzt.