Prozessbeobachtung: 3. Verhandlungstag

Der dritte Verhandlungstag vor dem Erfurter Landgericht dauerte mehr als acht Stunden. Nach der Einlassung des Angeklagten Baudler wurden zwei Beamte des LKA vernommen, die an Vernehmungen der Angeklagten Pommer und Wagner beteiligt gewesen sind und zur Tatzeit der BAO ZESAR angehörten. 
Baudler, dessen Anwältin Dr. Ernst für den dritten Verhandlungstag seine Einlassung angekündigt hatte, saß vor Verhandlungsbeginn lange abseits und nicht auf der Anklagebank und sprach auch nicht mit den anderen Angeklagten, wirkte dafür aber gut gelaunt. Die Verhandlung wurde um 10:00 Uhr eröffnet, der Angeklagte Boitz hatte den eigentlichen Verhandlungsbeginn um 09:30 verpasst und entschuldigte sich, er habe ein altes Auto und es hätte damit Probleme gegeben.

Baudler bestreitet Tatbeteiligung 

Dr. Stefanie Ernst kündigte an, sie werde die Einlassung ihres Mandanten Baudler verlesen, er selbst werde im Anschluss aber nur Fragen zu seiner Person beantworten. Sie stellte den Verlauf des Tatabends aus der Perspektive ihres Mandanten wie folgt dar:
Der Mitangeklagte David Söllner habe Baudler am 08.02.2014 per WhatsApp gefragt, ob er mit auf einen Geburtstag nach Suhl fahren möchte. Baudler habe keine große Lust gehabt, sich schließlich aber überreden lassen und das Auto seiner Mutter geliehen, um Söllner und seinen Vater abzuholen. 
In der Garage, in der die Geburtstagsfeier stattgefunden habe, sei er zum ersten Mal gewesen, er erinnere sich nicht wem die Garage gehörte und habe dort auch niemanden gekannt. Sie hätten Getränkemarken gekauft und er habe dann vorwiegend in der Ecke gestanden und Cola getrunken, da er ja noch fahren musste. Es seien etwa 40-50 Personen dort gewesen. Der Angeklagte Söllner sei mittlerweile angetrunken gewesen als er Baudler mitgeteilt habe, man würde noch nach Ballstädt fahren wollen, weil es dort an einem Haus einen Schaden durch eine eingeworfene Scheibe gegeben habe. 
Baudler selbst kenne weder das besagte Haus noch habe er gewusst, wo Ballstädt liege, habe sich aber in der Fürsorgepflicht seinem betrunkenen Beifahrern gegenüber gesehen und eingewilligt, hinzufahren und den Schaden dort zu begutachten. Von einem möglichen Übergriff habe er keine Idee gehabt. 
Es wären mehrere Autos von der Party in Suhl in Richtung Ballstädt aufgebrochen, wieviele genau wisse er aber nicht. Er sei einem roten Auto vor ihm gefolgt. Als eben dieses Auto auf der Fahrt geblitzt wurde, habe er vor Schadenfreude den Daumen gehoben und sei unglücklicherweise in just diesem Moment ebenfalls geblitzt worden. 
Beim Halt an einer Tankstelle, um Kippen zu kaufen, habe man den Kontakt zur Kolonne verloren und sei dann alleine am gelben Haus angekommen, wo alle anderen von der Party bereits anwesend waren. Baudler habe im Auto gewartet und sei nicht mit ins Haus gegangen, da M. Söllner im Auto geschlafen habe und er ihn weder im Auto einschließen noch das Auto selbst unbeaufsichtigt zurücklassen wollte. Er habe dann mehrere Personen – unvermummt – loslaufen sehen, die etwa zehn Minuten später zurückgekommen seien. David Söllner hätte ihm zugerufen, er solle besser schnell losfahren. Die Autos seien dann schnell in verschiedene Richtungen aufgebrochen. Baudler habe, als ihnen schon Rettungswagen entgegenkamen, vermutet, dass da etwas „aus dem Ruder gelaufen“ sei. Obwohl er sehr müde gewesen sei, habe er sich erneut von Söllner überreden lassen, noch nicht nach Hause sondern auf einen Absacker nach Zella-Mehlis zu fahren. 
Am nächsten Morgen habe ihm David Söllner per WhatsApp einen Zeitungsartikel über den Überfall auf eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt geschickt, den er – weil er nicht gewusst hätte, was er sonst dazu sagen solle – mit einem zwinkernden Smiley kommentiert habe. Kurz darauf habe er geschrieben, er selbst sei ja Zuhause gewesen.
Er bereue, überhaupt auf die Party nach Suhl und dann nach Ballstädt gefahren zu sein, da er dort niemand gekannt habe und es würde ihm leid tun, was in jener Nacht in Ballstädt geschehen sei. 
Zu den Fragen des vorsitzenden Richters äußerte sich Baudler persönlich. Er mache zur Zeit eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer, sei aber wegen eines Motorradunfalls zur Zeit krank geschrieben. Pröbstel zitiert aus dem Jugendamtsbericht, wonach Baudler in der Regelschule Streitschlichter gewesen sei, was dieser bestätigt.
Da die Einlassung zügig abgehandelt werden konnte und der erste Zeuge in diesem Verfahren noch nicht da ist, wird die Verhandlung bis 11:15 unterbrochen. 

Vernehmung des ersten Zeugen

Um 11:30 Uhr beginnt die Vernehmung des Kriminalhauptkommissars L., der als Beamter der BAO ZESAR Vernehmungsbeamter bei Pommer (am 09.02.2014) und Thomas Wagner (April 2014) eingesetzt war. 
Die gerade begonnene Vernehmung muss unterbrochen werden als die Nebenklage Staatsanwaltschaft darauf aufmerksam macht, dass eine im weiteren Verlauf des Verfahrens vorgesehene Zeugin, die Ehefrau des Angeklagten Herrmann, auf der Zuschauerbank sitzen würde. 
Sie bestätigt dies und verlässt den Saal, worauf der Anwalt Herrmanns bekannt gibt, Frau Herrmann würde von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Nachdem sie kurz als Zeugin erscheint und dies bestätigt, darf sie wieder unter den Zuschauern Platz nehmen, wo sie bis zum Ende des Prozesstag ausharren wird. 
Der Zeuge L. gibt an, erst am 04.01.2016 die Vorladung erhalten zu haben. Er könne sich an den fast zwei Jahre zurückliegenden Vorfall nicht besonders gut erinnern und werde in seinen Angaben großteils auf die Akte zurückgreifen, die er aber in der kurzen Zeit auch nicht intensiv habe lesen können. 
Dies führt dazu, dass er in der folgenden Vernehmung häufig angibt keine oder keine genauen Erinnerung an etwas zu haben oder häufig lediglich bestätigt, wenn etwas „so in der Akte“ stehe, werde es auch so gewesen sein. 
L. sei am 09.02.2014 gegen 11:00 in Dienst versetzt worden und dann nach Gotha zur KPI und von dort aus nach Ballstädt, wo neben ihm drei weitere Kollegen von der BAO Zesar vor Ort waren, gefahren.
L. berichtet in freier Rede von der Vernehmung Pommers, den er erst als Zeuge vernommen habe. Nach einer kurzen Unterbrechung durch Frau S. von der Kripo Gotha habe er Pommer dann als Beschuldigten vernommen. Pommer habe eingewilligt die Vernehmung trotzdem fortzuführen, diese sei aber nicht besonders ergiebig gewesen und belaufe sich insgesamt auf etwa zwei Seiten. 
Der Beamte schildert die Darstellung Pommers, wonach dieser nach der Ankunft in Ballstädt direkt in die Wohnung des Angeklagten Keller (im gelben Haus) gegangen sei und sich dort schlafen gelegt habe. Er sei darüber hinaus alkoholisiert gewesen. Selbst den Schaden im Erdgeschoss habe er sich nicht angesehen.
Bei der folgenden Befragung durch den Vorsitzenden Richter erläutert L., warum Pommer nach einer Unterbrechung der Vernehmung nicht mehr als Zeuge, sondern als Beschuldigter vernommen wurde. Zum einen habe es Hinweise gegeben, dass Pommer in der Tatnacht am gelben Haus gewesen sei, sowie dann auch dessen eigene Aussage, er wäre mit Andre Keller und Rocco Boitz in Langesalza gewesen und sie seien dort gegen 02:00 Uhr durch einen Anruf benachrichtigt worden, nach Ballstädt zu kommen.  Keller habe das Auto gefahren, da er selbst alkoholisiert gewesen sei. 
L. stellt klar, dass Pommer über seinen Beschuldigtenstatus belehrt worden sei und seine vorherige Darstellung jedoch nicht revidiert habe, nach der er sich nach der Ankunft in Ballstädt in Kellers Wohnung schlafen gelegt habe. Seine Oberbekleidung habe Pommer am 09.02.2014 freiwillig zur Sicherstellung übergeben.

L. berichtet weiter, in der BAO sei eine Arbeitsgruppe Ballstädt eingerichtet worden, die für den Überfall auf die Kirmesgesellschaft aber auch die Sachbeschädigung am gelben Haus zuständig gewesen sei. Er sei nicht unmittelbar in deren Arbeit

eingebunden gewesen, jedoch als Ermittlungsleiter regelmäßig informiert worden. Bei der Vernehmung Thomas Wagners sei er unterstützend dabei gewesen. Sie habe im April 2014 im Besucherraum der JVA stattgefunden.

L. schilderte die Aussage Wagners über eine Geburtstagsfeier in Suhl und dass man, so Wagner,als größere Gruppe von dort nach Ballstädt gefahren sei, nachdemer telefonisch über den Schaden informiert wurde. 
Das sogenannte „Juwel“ in Gotha sei auf der Fahrt in die Überlegungen, wer das Fenster eingeworfen habe könnte, einbezogen worden. Letztendlich sei man aber nach Ballstädt gefahren, habe den Schaden besichtigt und dabei einen Stein und eine rote Serviette festgestellt. Man wusste von der Feier der Kirmesgesellschaft im Saal und vermutete dort Angehörigen des Bürgerbündnisses [gegen Rechts] Ballstädt. Wagner habe den Saal betreten und Anwesende ansprechen wollen. Er habe jedoch aus dem gelben Haus eine Maske mitgenommen und den Saal maskiert betreten. Er habe zwei Personen angesprochen, Faustschläge gegen beide Personen verübt und sei dann zur Tür gegangen, wo er eine weitere, entgegenkommende Person attackiert habe. Er sei aus dem Saal gedrängt worden. Andere Personen hätten möglicherweise im Vorraum und im Saal noch Körperverletzungen begangen. Man habe fluchtartig Ballstädt verlassen und Wagner habe die Maske während der Fahrt aus dem Auto geworfen. 
Wagner habe erst anschließend, auf Nachfrage, eingeräumt bei den Fausschlägen Quarzsandhandschuhe getragen zu haben. Auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft präzisiert L., es habe sich um Motorradhandschuhe mit Protektoren auf der Handaußenseite gehandelt.
Auf die folgende Frage des Vorsitzenden Richters, ob Wagner alle geschilderten Körperverletzungen direkt eingeräumt hätte, gibt L. an: Er habe eingeräumt eine Person geschubst und direkt danach geschlagen zu haben, nach der Rücksprache mit seinem Rechtsanwald Lippold habe er mehrere Schläge eingeräumt, darunter gegen eine schlafende Person, weil „das [vorherige Geständnis] zuwenig gewesen“ sei. L. erklärt, sein Eindruck sei gewesen, dass Wagner auf Haftentlassung aus gewesen sei und deshalb nach der Unterredung mit seinem Anwalt sein Geständnis ausgeweitet habe. L. benennt dies, seinem Eindruck nach, als Teilgeständnis, bei dem ausdrücklich niemanden sonst belastet werden sollte. Wagner habe betont, es sei keine organisierte Aktion gewesen. Er habe lediglich angegeben, ihm seien vom gelben Haus zum Saal 5-6 Personen gefolgt, wer genau das gewesen sei, könne er nicht benennen.
Angesprochen auf eine Hose, die bei der Durchsuchung in Wagners Wohnung – eine Woche nach der Tat – gefunden wurde, erinnert sich L: Gefunden wurde eine abgeschnittene Hose in einem Kochtopf, offenbar der Versuch sie gründlich zu reinigen. L. zeigte sich überrascht, dass bei der Durchsuchung dennoch „bluttypische Anhaftungen“ und Glassplitter an der Hose gefunden wurden. Wagner habe beim Verhör im April dann ausgesagt, er habe eine Wiedererkennung der Hose befürchtet und sie deshalb ausgekocht – oder es zumindest versucht. 
Die Verteidiger Klemke, Waldschmidt und Nahrath fordern anschließen die Vereidigung des Kriminalhauptkommissars weil sie überzeugt wären, er habe Informationen zurückgehalten. Da der vorsitzende Richter entgegnet, dass er das nicht beabsichtige, fordern sie eine Gerichtsbeschluss – die Kammer entscheidet nach kurzer Unterbrechung der Verhandlung jedoch gegen eine Vereidigung. Damit ist die Vernehmung des ersten Zeugen in diesem Prozess nach über vier Stunden beendet. 

Vernehmung des zweiten Zeugen

Beginn der Vernehmung des Zeugen R., Kriminalhauptkommissar beim LKA und ehemals Beamter der BAO ZESAR. Er schildert in knappen Worten, dass die Vernehmung Wagners in der JVA im April 2014 auf dessen Wunsch hin erfolgt sei. Auf den Tatvorwurf äußerte Wagner sich über eine Feier in Suhl, dass er benachrichtigt worden sei über den Schaden, dass man mit dem PKW nach Ballstädt zum gelben Haus gefahren sei und dann zum Saal gelaufen. Dort habe er die erste Person am Tresen befragt und „vom Stuhl geschlagen“. Nach Vorhaltung, Zeugen hätten eine weitere Körperverletzung mit einer Wagner ähnlichen Personenbeschreibung als Täter genannt, hätte es eine Unterbrechung und Unterredung mit dem Anwalt gegeben. Danach habe der Beschuldigte zwei weitere Körperverletzungen zugegeben, unter anderem an der Tür beim Weg hinaus. 
R. vermutet ebenfalls die Hoffnung auf Haftentlassung als Motiv hinter der Entscheidung Wagners, nach zwei Monaten Untersuchungshaft auszusagen. R. stellt jedoch klar, dass es weder vor noch während der Vernehmung eine Haftentlassung zugesagt oder etwas derartiges versprochen worden sei. Die weitere Darstellung deckt sich in weiten Teilen mit der des Zeugen L., R. fügt hinzu, Wagner habe bei der Vernehmung nicht gewirkt als wäre das Geständnis eine Erleichterung. Vielmehr habe er „vernehmungserfahren“ gewirkt, Wagner kenne „das alles ja schon“. R. bestätigt, Wagner habe erst nach  Rücksprache mit seinem Anwalt das Tragen von Handschuhen und die beiden weiteren Körperverletzungen zugegeben. 

Verteidigung mit Täter-Opfer-Umkehr

Die Fragen der Verteidigung an den Zeugen beschäftigen sich dagegen kaum mit dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung. Vielmehr zielt insbesondere Rechtsanwalt Klemke offenbar auf eine Art Täter-Opfer -Umkehr ab, als er wieder und wieder nach den Ermittlungen hinsichtlich der Sachbeschädigung am gelben Haus fragt und R. auf vorherige „Angriffe“ in Form von Schmierereien an der Fassade oder dem Bekleben des Briefkastens mit Aufklebern hinweist.
Nach zahlreichen Fragen diesbezüglich und einer Beanstandung der Nebenklage entzieht der Vorsitzende Richter dem Neonazi-Szene-Anwalt das Wort.