36. Verhandlungstag (22.02.’17)

Der 36. Verhandlungstag im Ballstädt-Prozess begann mit einer Stunde Verzögerung. Der Angeklagte Blasche hatte offenbar Schwierigkeiten mit seiner Anreise und handelte sich angesichts dieser wiederholten Verspätung die Drohung des Vorsitzenden Richters ein, ihn notfalls in Ordnungshaft zu nehmen und vorführen zu lassen, wenn er in Zukunft nicht selbstständig pünktlich erscheine.

Nachdem ein erwarteter Zeuge gar nicht erschien, wurden gestern erneut lediglich Beweisanträge gestellt sowie durch den Vorsitzenden Richter die Entscheidungen zu vergangenen Anträgen verkündet.
Die größte Überraschung war hierbei, dass die Kammer die Aufzeichnungen der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) doch nicht, wie angekündigt, vorführte und darüber hinaus erklärte, auch die Inhalte der TKÜ – mehrere Gespräche zwischen Angeklagten aus der Tatnacht – seien für die Beweisaufnahme verzichtbar. Sie würden nur belegen, was mittlerweile bereits bekannt sei. Überraschend vor allem angesichts der monatelangen Diskussion um diese Unterlagen, wegen derer die Nebenklage im August 2016 sogar vor dem Verwaltungsgericht in Weimar geklagt hatte.


Die Verteidigung hatte demgegenüber immer wieder versucht, die Verwendung der TKÜ-Aufnahmen als Beweismittel zu verhindern, so auch am 36. Verhandlungstag noch einmal durch RA Bunzel. Dieser argumentierte erneut, dass die TKÜ-Maßnahme nach dem G10-Gesetz nur wegen des Verdachts auf Raub (nach dem Überfall vermisste einer der Angeklagten sein Handy) genehmigt worden wären, dieser Raub aber in der derzeitigen Verhandlung keine Rolle mehr spiele.

Die Aussagen den Angeklagten Heerlein, die ebenfalls immer wieder von der Verteidigung angezweifelt wurden, hält das Gericht dagegen für belastbar.

In einem weiteren Beweismittelantrag forderte Rechtsanwältin Ernst, die Blitzerfotos noch einmal dahingehend zu prüfen, ob auf der Rückbank eines PKW der Vater des Angeklagten Söllner zu sehen sei. Laut Ernst sei daran, dass Söllners Vater mit dem Kopf gegen den Vordersitz gelehnt sei, dessen Trunkenheit erkennbar.
Dies würde, so offenbar die Annahme, die Argumentation ihres Mandanten stützen. Dieser hatte erklärt, er sei zwar in Ballstädt gewesen, dort aber bei seinem Auto geblieben, da er befürchtet habe, der volltrunkene Söllner Senior würde sich im Auto übergeben.

RA Lippold befasste sich noch einmal mit den Anträgen der Nebenklage vom letzten Verhandlungstag. Er erklärte unter anderem die Feststellung, dass ein Transparent mit der Aufschrift „Freiheit für Wolle“ dem als NSU-Helfer angeklagten Ralf Wohlleben gelte und damit die Straftaten des NSU gutheiße, für spekulativ. Die Verbindung seines Mandanten Thomas Wagner zur sogenannten Neonazi-Bruderschaft „Turonen“ sei ebenfalls nicht konkret belegbar.

Rechtsanwältnin Pietrzyk entgegnete für die Nebenklage, gerade die Glaubwürdigkeit der Aussage Wagners, man habe lediglich „in Ruhe in Ballstädt wohnen“ wollen, ließe sich durch die Anträge überprüfen. Das Landesamt für Verfassungsschutz Thüringen listet in den von der Nebenklage benannten Berichten mehrere Konzertveranstaltungen für die „Hausgemeinschaft Jonastal“ in Crawinkel und 2014 auch für das Gelbe Haus in Ballstädt, das als Nachfolgeprojekt der kurz „HJ“ betitelten Hausgemeinschaft gelten kann.

In der Tat verkennt das Gericht bisher den Stellenwert des Objekts in Ballstädt, in dem Konzerte stattfanden und das als Szene-Treffpunkt diene, wie die Nebenklage am 35. Verhandlungstag darlegte. Die Wichtigkeit dieser Konzerte in Thüringen für die Vernetzung der bundesweiten und teils internationalen Neonazi-Szene beschreibt auch der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, noch einmal sehr konkret im Beitrag von MDR exakt aus der vergangenen Woche. Kramer bestätigt dort ebenfalls, dass einige Angeklagte der sogenannten Bruderschaft „Turonen“ zuzurechnen sind.

Ebenso verkennt das Gericht die Bedrohungssituation vor Ort, wenn der Vorsitzende Richter argumentiert, laut mehrerer Dorfbewohner habe es bisher keine Belästigungen durch die dort wohnenden Neonazis gegeben. Durch die Einführung der nun abgelehnten Beweismittel hätte durchaus ein anderes Bild entstehen können.
Stattdessen verneinte der Vorsitzende Richter die politische Dimension des Verfahrens und betonte erneut, die Kammer verhandele die Straftatbestände der gefährlichen Körperverletzung und des schweren Hausfriedensbruchs. Hier spielt sicherlich auch der Blick auf eine kommende Urteilsfindung eine Rolle, bei der die Kammer möglichst wenige Angriffspunkte für ein Revisionsverfahren liefern möchte.

Der Prozess wird am kommenden Mittwoch, den 01.03. fortgesetzt, am 15.03. soll die Beweisaufnahme geschlossen werden. Beide Termine beginnen wie gewohnt um 09:30 Uhr und sind für die Öffentlichkeit zugänglich.