30. Verhandlungstag (14.12.’16)

Mehrere Angeklagte im Ballstädt-Prozess sind offenbar in einer „Neonazi-Bruderschaft“ organisiert. Dies geht aus der Antwort des Thüringer Innenministeriums auf eine kleine Anfrage hervor.
Im Prozess selbst konnten heute nach mehreren gescheiterten Anläufen der Polizeibeamte S. sowie dessen Kollegin K. vernommen werden. S. hatte im Februar 2014 die beiden Vernehmungen des Angeklagten Heerlein geleitet, K. diese zeitweise begleitet.

S. rekonstruierte zunächst Heerleins Darstellung der Tatnacht. Dieser habe angegeben, zunächst bei einer Geburtstagsfeier in Suhl gewesen zu sein. Dort habe Heerlein von einem „Anschlag“ auf das sogenannte Gelbe Haus erfahren, jedoch nicht, was genau geschehen sei. In der Folge seien Heerlein, Blasche und ein „Arge“ mit einem Mercedes nach Ballstädt gefahren, die Angeklagten Fahrenbach und Lückert habe Heerlein einem roten Opel Corsa zugeordnet. Es habe auch mehrere Autos mit Gothaer Kennzeichen gegeben, die ebenfalls nach Ballstädt gefahren seien, insgesamt hätten sich seinen Angaben zufolge 15 bis 20 Personen auf den Weg gemacht.

In Ballstädt angekommen hätten die Fahrzeuge am Gelben Haus gehalten. In der Dunkelheit habe Heerlein angegeben, nur einige Angeklagte erkannt zu haben, Steinau, Wagner, Boitz, Fahrenbach, Lückert und „Arge“ seien jedoch von dort zum Kulturzentrum gelaufen.
S. erklärte, Heerlein sei bei den Namen sicher gewesen und habe kenntlich gemacht, wenn er nur den Vornamen oder Spitznamen von jemandem wusste.

Heerlein habe angegeben, im Kulturzentrum selbst nur bis in den Vorraum gegangen zu sein, der durch eine Tür und wenige Treppenstufen vom Saal getrennt ist. Dort seien ihm schon „alle“ entgegengekommen, Kai Lückert habe ihm zugerufen „los, raus hier“. Im Vorraum selbst habe Heerlein seiner Aussage zufolge zwar Blut gesehen, jedoch keine Verletzten.
Diese Darstellung weicht nicht nur erheblich von den Aussagen mehrerer Zeugen ab, denen zufolge der Angriff sowohl im Saal als auch im Vorraum stattgefunden habe, sie lässt sich auch kaum mit dem Geständnis Thomas Wagners vereinbaren.

Wagners eigener Darstellung zufolge sei er alleine zum Kulturzentrum und in den Saal gegangen und alle Anderen wären mit Abstand gefolgt, Heerlein erwähnte jedoch mehrfach, Wagner sei am Gelben Haus, auf dem Weg zum Kulturzentrum und am Saal in seiner Nähe gewesen und habe zwar das Gebäude betreten, Andere seien jedoch vorausgegangen.

RA Adam erklärte später, das Geständnis Wagners und seine Darstellung der alleinigen Täterschaft sei damit in weiten Teilen widerlegt oder zumindest infrage gestellt. Vielmehr hätten die Angreifer offenbar Zeit im Vorraum verbracht, bevor Wagner alleine in den Saal gegangen sei, dies lege einen gemeinsamen Tatplan nahe.

Der Vorsitzende Richter hielt S. die Aussage Heerleins vor, Wagner habe im Kulturzentrum „nur mal gucken“ wollen und fragte den Zeugen nach dessen Einschätzung. Dieser entgegnete, Heerlein hätte schon wissen müssen, mit was für Taten hier zu rechnen gewesen sei.
Hierzu passt, dass Heerlein bei der Ankunft am gelben Haus von Keller oder Steinau einen Baseballschläger in die Hand bekommen habe, „falls es Stress“ gebe. Heerlein habe angegeben, den Baseballschläger direkt am Gelben Haus gelassen zu haben, wozu auch der Fundort passt. Auszuschließen ist jedoch nicht, dass er ihn erst auf dem Rückweg dort abgelegt hat.

Nach dem Überfall auf die Kirmesgesellschaft sei Heerlein wieder unter anderem mit Blasche in den Mercedes gestiegen und Richtung Suhl gefahren, unterwegs habe man noch bei McDonalds angehalten. Heerleins Aussage zufolge wurde hierbei nicht über den Angriff geredet.

Nach einer kurzen Unterbrechung folgten einige Fragen zur zweiten polizeilichen Vernehmung Heerleins im Februar 2014, zu der S. jedoch anmerkte, dass er sich an diese kaum erinnern könne. Deshalb wurden dem Zeugen einige Passagen aus der Akte vorgehalten, die dieser dann meist bestätigte.

Der interessanteste Teil dieser zweiten Vernehmung war die Aussage Heerleins, dass es einige Tage nach dem Überfall doch ein Gespräch darüber gegeben habe, an dem die Angeklagten Lückert, Fahrenbach und „Haggi“, also Marcus Rußwurm beteiligt waren. Heerlein habe erklärt dass Stefan [Fahrenbach] hierbei erzählt habe, er habe „einen über die Garderobe geschmissen“. Dies deckt sich mit den Aussagen mehrerer Zeugen, nach denen ein Gast der Kirmesgesellschaft bei dem Angriff im Vorraum über einen Tresen geworfen wurde. Fahrenbach hätte damit eine direkt Tatbeteiligung eingeräumt, die nun nach der Bestätigung des Vernehmungsbeamten auch vor Gericht belastbar ist.

Heerlein ergänzte zudem, „Blinze“ sei ebenfalls bei dem Überfall im Saal gewesen, gemeint ist hier der Angeklagte Herrmann, und Lückert habe gesagt es sei „ein brutales Chaos oben“ gewesen, er müsste also mindestens im Vorraum gewesen sein. An der Hose Herrmanns war bereits das Blut eines Geschädigten festgestellt worden, sodass eine Tatbeteiligung als wahrscheinlich gilt.

Die Vernehmung der Kriminalkommissarin K. bestätigte einige dieser Ergebnisse, lieferte jedoch wenige Ergänzungen. Ihren Schilderungen zufolge habe Heerlein in der Vernehmung einen ruhigen Eindruck gemacht und sich die Antworten gut überlegt.

RA Adam befragte K. noch danach, ob sie mit ihrem Kollegen über eine mögliche Gefährdung Heerleins durch Racheakte gesprochen habe. In der Akte stehe hierzu, dass ein Racheakt derzeit [zum Zeitpunkt des Akteneintrags, also vermutlich Februar 2014] unwahrscheinlich sei, Repressionen auf Grund seiner Aussage bei der Polizei aber nicht auszuschließen seien. K. konnte sich über diesen Akteneintrag hinaus an kein Gespräch erinnern.

Erklärung Söllners in mehreren Punkten fragwürdig, Wagner lässt keine Fragen zu 

Im Anschluss wurde eine Erklärung des Angeklagten Söllner durch dessen Rechtsanwältin verlesen. Nach dieser Darstellung sei Söllner bereits in Suhl betrunken gewesen und habe Probleme gehabt zu laufen, daher wisse er auch nicht, wer mit ihm im Auto nach Ballstädt gesessen habe. Er sei mit einer Gruppe hinter Wagner zum Kulturzentrum gelaufen, nachdem dieser gesagt habe, er gehe alleine vor. Die Gruppe sei gefolgt, weil sie Angst um Wagner gehabt habe.
Söllner ließ erklären, er könne sich selbst nach dem Ortstermin nicht an die Räumlichkeiten erinnern, er sei jedoch dort ausgerutscht und hingefallen und dann mit den anderen hinausgelaufen. Durch den Sturz sei Blut an seine Kleidung geraten, was er jedoch nicht bemerkt habe. Er sei dann nach Hause und direkt ins Bett gefallen, was in Ballstädt passiert sei tue ihm leid.
Dieser Sturz soll offenbar die Erklärung dafür sein, dass an Söllners Hose und seiner Strickjacke das Blut von drei verschiedenen Geschädigten festgestellt wurde. Weitere DNA-Spuren von ihm wurden ebenfalls im Saal an Gläsern und Stühlen gefunden.

Die Ankündigung Wagners, auf Rückfragen einzugehen, zog dessen Rechtsanwalt Lippold bereits nach der ersten Frage durch den Vorsitzenden Richter zurück, auch die Verteidigung Rußwurms zog vor, es einmal mehr nur bei der Ankündigung einer Einlassung zu belassen.

Zum Abschluss verlas die Nebenklage noch eine Erklärung, die sich auf die „Combat 18“-Tätowierung am Hinterkopf Marcus Rußwurms bezog. RAin Kristin Pietrzyk zitierte aus Berichten des NSU-Untersuchungsausschusses über die Entstehung der Organisation und der Bedeutung der Selbstbezeichnung „Combat 18“ als militantem und bewaffnetem  Teil der Neonaziszene. Vor allem hinsichtlich der Strafzumessung dürfte dies, wie auch die nun aufgedeckte Beteiligung an der „Neonazi-Bruderschaft“, für das Gericht von Interesse sein.

 Der letzte Verhandlungstag für dieses Jahr findet am Mittwoch, den 21.12.2016, wie gewohnt um 09:30 Uhr statt.