Ortstermin Ballstädt (29.06.’16) und Pressemitteilung der Nebenklage

Statt eines Verhandlungstermins im Landgericht waren alle Prozessbeteiligten sowie einige ZuschauerInnen am 29.06.2016 in Ballstädt, um sich den Tatort und dessen Umgebung anzusehen.
RAin Kristin Pietrzyk und RA Sven Adam erklärten dort, dass sie im Namen ihrer MandantInnen, die bei dem Überfall verletzt wurden, Klage gegen das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz erhoben haben. Die vollständige Pressemitteilung  kann hier nachgelesen werden.
Darüber hinaus hat das Gericht neue Verhandlungstermine bis zum 21.12.2016 festgesetzt.

I. Ortsbegehung in Ballstädt (29.06.2016)

Im Zuge einer sogenannten Inaugenscheinnahme wurden die Räumlichkeiten, in denen die Feier der Kirmesgesellschaft stattfand, der Weg von dort bis zum „Gelben Haus“ sowie das direkte Umfeld der Neonazi-Immobilie begutachtet.
Neben den Prozessbeteiligten versammelten sich gegen 10:30 auch viele Dorfbewohner, die sich nicht von der Anwesenheit der Angeklagten einschüchtern ließen und sich für den Ablauf den aktuellen Stand im Prozess interessierten, im Innenhof des Kulturzentrums.

Der Vorsitzende Richter parkte sogar im Innenhof und nahm damit genau den komplizierten Weg um das Gebäude herum, den Tony Steinau und Christina H. gefahren sein mussten, als sie sich in den frühen Stunden der Tatnacht nach der Feier im Saal des Kulturzentrums erkundigten.
Vom Hof aus führte der Weg im Gebäude vorbei an den Toiletten im Erdgeschoss und eine breite Treppe hinauf in das Vorzimmer. Hier war der große Spiegel zu sehen, der bei dem Angriff dadurch zerstört worden sein soll, dass die AngreiferInnen einen der Gäste hineinwarfen. Auch über den hohen Tresen, der die Garderobe im Vorraum räumlich abgrenzt, sei nach verschiedenen Zeugenaussagen ein Gast geworfen worden.
Vor dieser Garderobe führt hinter einer massiven Stahltür eine schmale Treppe in den kleinen Saal, in dem sich zum Zeitpunkt des Überfalls die meisten Gäste aufhielten. Links neben dem Eingang befindet sich der Tresen, am anderen Ende des Saals die Tür zum Hinterzimmer, von dem aus es möglichc ist durch eine weitere Tür wieder ins Erdgeschoss zu gelangen. Die zweite Tür war jedoch in der Tatnacht verschlossen und musste von Gästen, die vor dem Angriff flüchteten, aufgebrochen werden.

Die Distanz zwischen dem Innenhof des Kulturzentrums und dem „Gelben Haus“ beträgt nach Schätzung des Vorsitzenden Richters maximal 150m. Vor diesem Objekt wurden die mehrfach angesprochene Bushaltstelle, der Vorplatz und der kleine Löschwasserteich begutachtet, neben dem die Polizei in der Tatnacht einen Baseballschläger sicherstellte. Dessen Fundort liegt direkt gegenüber dem „Gelben Haus“ und von dessen Eingangstür nur etwa fünf bis sechs Meter entfernt.

RA Hoffmann, Vertreter der Nebenklage, beschrieb wie eindrucksvoll er bei diesem Ortstermin die engen und unübersichtlichen Räumlichkeiten wahrgenommen habe. Angesichts der Situation in der Tatnacht und dem mutmaßlichen Ablauf der Tat sei es sehr wahrscheinlich, dass die AngreiferInnen bereits vorher dem Plan gefasst hätten, in den Saal zu stürmen und die Gäste anzugreifen. Hoffmann betonte, angesichts des Steinbodens, des Spiegels und der fest im Boden verschraubten Garderobe mit Metallhaken und dem hohen Tresen könne man bei den äußerst gefährlichen Angriffen im Vorraum gewesen von einem versuchten Tötungsdelikt sprechen und man müsse von Glück reden, dass die angegriffenen Gäste hier nicht noch mehr und schwerere Verletzungen davontrugen.

Die Videoaufnahmen vom Tatort aus der der MDR-Berichterstattung direkt nach der Tat sind zum Teil bei YouTube noch einsehbar.

II. Pressemitteilung der NebenklagevertreterInnen

Thüringer Verfassungsschutz behindert Aufklärung – Nebenklage erhebt Klage gegen Verfassungsschutz vor dem Verwaltungsgericht Weimar

Ballstädt, den 29.06.2016

Im sog. Ballstädt-Verfahren hält der Thüringer Verfassungsschutz trotz mehrfacher Aufforderungen durch das Landgericht Erfurt wichtige Unterlagen zurück. Ausweislich eines MDR-Berichts vom Februar 2014 [Anm.: Der Bericht ist beim MDR nicht mehr einzusehen, wird aber u.a. hier zitiert] zeichnete die Behörde die telefonische Verabredung zur Tat auf. Diese Mitschnitte hat der Thüringer Verfassungsschutz bis heute ebenso wenig an das Landgericht Erfurt übermittelt wie Unterlagen zur Anordnung der Aufzeichnungen. Bislang ist lediglich eine Zusammenfassung der Gespräche der Tatverdächtigen Teil der Ermittlungsakte. Obwohl die Beweisaufnahme weiter voranschreitet und damit eine Urteilsverkündigung in greifbare Nähe rückt, versucht der Thüringer Verfassungsschutz offenbar eine Übermittlung der Unterlagen zu verhindern und nimmt dabei in Kauf, erneut die Strafverfolgung gegen Täter aus der rechten Szene zu behindern oder sogar zu vereiteln.

Unweigerlich drängen sich daher Parallelen zum Verhalten der Behörde im NSU-Komplex auf. Dort war dem Thüringer Verfassungsschutz seitens des parlamentarischen Untersuchungsausschusses vorgeworfen worden, das Ergreifen der drei Rechtsterroristen sogar aktiv behindert zu haben. Laut Abschlussbericht des Ausschusses soll der Quellenschutz hierbei eine erhebliche Rolle gespielt haben. Als Konsequenz aus diesen Erkenntnissen war das Thüringer Amt für Verfassungsschutz erst im Jahr 2015 reformiert und mit Stephan J. Kramer die Stelle des Präsidenten neu besetzt worden. Entgegen der Bekundungen des neuen Präsidenten des Amtes in der Öffentlichkeit zu den Gefahren des Rechtsextremismus hat die Behörde aber bislang nichts zur Wahrheitsfindung in dem Ballstädt-Verfahren beigetragen.

Auf Grund des Verhaltens des Thüringer Verfassungsschutzes wurde daher heute seitens der Nebenklage vor dem Verwaltungsgericht Weimar Klage gegen den Thüringer Verfassungsschutz erhoben. Damit soll das Amt auf verwaltungsgerichtlichem Weg gezwungen werden, Unterlagen über die besagte Telekommunikationsüberwachung des Thüringer VS an das Landgericht Erfurt zu übermitteln. „Dass trotz mehrfacher Aufforderung des Gerichts seit Februar dieses Jahres der Verfassungsschutz die Unterlagen nicht in den Strafprozess einführt zeugt mindestens von Respektlosigkeit gegenüber der Justiz. Wir gehen jedenfalls davon aus, dass wir den Verfassungsschutz nur noch mit einer Klage zur Herausgabe der Unterlagen zwingen können“ berichtet der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam, der heute eine der Klagen für seinen Mandanten erhoben hat. „Der Thüringer Verfassungsschutz fällt nicht zum ersten Mal dadurch auf, dass er seinem gesetzlichen Auftrag nicht nachkommt. Wieder einmal muss sich diese Behörde den berechtigten Vorwurf gefallen lassen, mitzuhelfen, dass rechte Gewalttäter möglicherweise nicht verurteilt werden können“ ergänzt Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk aus Jena, die ebenfalls mit einer Klage über das Verwaltungsgericht die Herausgabe der Unterlagen erreichen will.

III. Pressespiegel zu Ortstermin und Klage gegen das Landesamt für Verfassungsschutz

In der Berichterstattung zum Ballstädt-Prozess fragt das neues deutschland: Hält Geheimdienst im Ballstädt-Prozess Akten zurück? Der MDR beantwortet diese Frage offenbar mit ja und zieht die Verbindung zum Ermittlungsverfahren gegen das Österreichische Neonazi-Netzwerk „Objekt 21“. Hier lässt sich auch der Fernsehbericht aus dem „Thüringen Journal“ noch einmal anschauen.
Die Thüringer Allgemeine zitiert ebenfalls NebenklagevertreterInnen und hat diesbezüglich beim Thüringer Innenministerium nachgefragt. Weitere Berichte finden sich bei inSüdthüringen, der Welt und dem Focus.
//Update: Auch der Störungsmelder berichtet.