Der erste Verhandlungstag endete nach knapp vier Stunden, von denen ein Großteil auf Unterbrechungen entfiel, mit einer Vertagung der Verhandlung auf den 16.12.2015. Der angesetzte Prozesstermin am kommenden Mittwoch entfällt, da durch die Verteidigung mehrere Befangenheitsanträge gegen den vorsitzenden Richter gestellt wurden und diese nun geprüft werden müssen.
Die Angeklagten traten im Gerichtssaal teilweise mit Kleidung der Neonazi-Marke Thor Steinar, T-Shirts mit der Aufschrift „Solidarität mit Ballstädt“, (die möglicherweise bei einem der zahlreichen Rechtsrock-Konzerte, bei denen Spenden für den Prozess gesammelt wurden, verkauft wurden) oder mit dem offensichtlich rassistischen Slogan „too white for you“ auf und verdecken auch ihre Tätowierungen mit einschlägigen Motiven nicht.
Der Prozesstag im Protokoll:
Die Anklage wird verlesen.
Staatsanwaltschaft: Den Angeklagten wird vorgeworfen, in der Nacht vom 08.02. auf den 09.02.2014. den Straftatbestand der gemeinschaftlichen schweren Körperverletzung begangen zu haben. Einige der Angeklagten wären gemeinsam bei einer Party gewesen und mit vier Autos nach Ballstädt gefahren, weil dort im sogenannten „Gelben Haus“ eine Fensterscheibe eingeworfen worden wäre. Die Angeklagten sowie eine weiterer unbekannter Mittäter hätten sich, ausgestattet mit Vermummungsutensilien und Quarzsandhandschuhen, zum Dorfgemeinschaftshaus in Ballstädt begeben, weil sie dort den Schuldigen für die eingeworfene Fensterscheibe vermuteten. Ariane Scholl und ein weiterer, nicht benannter Angeklagter hätten draußen Schmiere gestanden und die 13 übrigen Angeklagten wären bis in den Vorraum des Saals gegangen, während der Angeklagte Thomas Wagner diesen betreten hätte. Wagner habe hier, vermummt mit einer Totenkopfmaske, die Anwesenden nach der zerbrochenen Fensterscheibe gefragt und anschließend die erste Person mit dem linken Arm festgehalten und ihr zweimal mit der Faust mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen. Hierbei und im weiteren Verlauf habe er Quarzsandhandschuhe getragen. Durch die Schläge erlitt die betroffene Person ein Schädelhirntrauma, Prellungen und eine Risswunde im Gesicht, sie sei bewusstlos zu Boden gefallen. Daraufhin habe Wagner noch zwei weiteren Personen mit der behandschuhten Faust Schläge gegen den Kopf versetzt.
Die Anklageschrift lautet weiter wie folgt:
„Nachdem nunmehr die weiteren Teilnehmer der Feierlichkeit den Angeklagten Thomas W. verfolgt hätten, seien die im Vorraum wartenden Angeklagten herangestürmt und hätten, dem gemeinsamen Tatplan folgend, zumeist mit mehreren Angreifern gleichzeitig auf Personen der Festgemeinschaft eingeschlagen und getreten. Der Angeklagte S. habe sich an Schlägen und Tritten gegen drei Geschädigte beteiligt, die dadurch Prellungen und Risswunden erlitten hätten. Der Angeklagte F. habe einen Geschädigten über einen Garderobentresen geschleudert, dessen Spiegel der Angeklagte R. zuvor mit einem Stuhl zerschlagen gehabt habe. Dadurch habe ein Zeuge eine Schnittwunde an der Hand erlitten. Der Angeklagte H. habe einem weiteren Geschädigten einen Faustschlag gegen die Schläfe versetzt, wodurch dieser ein Schädelhirntrauma erlitten habe. Außerdem sollen es die Angeklagten billigend in Kauf genommen haben, dass durch den gemeinschaftlichen Angriff ein Geschädigter eine Kopfplatzwunde, ein Schädelhirntrauma und eine Absplitterung an einem Schneidezahn, ein weiterer Geschädigter eine Nasenbeinfraktur und ein Schädelhirntrauma, ein anderer Geschädigter ein Schädelhirntrauma und Platzwunden an Ohr und Auge sowie ein weiterer Geschädigter eine Zahnverletzung sowie Schürfwunden am Arm erlitten haben. Zwei Minuten nach Beginn des Angriffs habe die Schmiere stehende Angeklagte Ariane Sch. gerufen „Alle raus“. Daraufhin hätten die Täter die Flucht ergriffen.“
Auf die Frage, ob sie planen würden sich zu den Vorwürfen zu äußern, verneinen fast alle der Angeklagten. Einzig der Angeklagte Baudler lässt durch seine Anwältin, Dr. Stefanie Ernst, eine Stellungnahme ankündigen.
Es folgt eine erste Welle von Befangenheitsanträgen gegen den vorsitzenden Richter Pröbstel, zunächst durch Rechtsanwalt Schwarz (für Rocco Boitz). RA Klemke (für Pommer)stellt ebenfalls einen Befangenheitsantrag, weil die Verhandlungstermine nicht mit ihm abgesprochen worden seien und er durch zwei andere Verhandlungen mittwochs häufig verhindert sei. Eines dieser Verfahren ist der NSU-Prozess in München, in dem Klemke, etablierter Szene-Anwalt, Ralf Wohlleben vertritt.
Ein Zweitverteidiger für Pommer sei abgelehnt worden, so Klemke, Richter Pröbstel habe vielmehr angedeutet dass sich Klemke eben entpflichten lassen müsse, wenn er die Verhandlungstermine für seinen Mandanten nicht wahrnehmen könne. Dies widerspreche Klemke zufolge dem Anrecht Pommers, von den Anwalt seiner Wahl und seines Vertrauens vertreten zu werden. Pröbstel wiederholt hierauf, dass er dieses Problem nicht lösen könne, da der extra für dieses Verfahren umgebaute Saal nur mittwochs verfügbar sei und auch die von Klemke vorgeschlagenen Tauschoptionen mit anderen Kammern des Erfurter Landgerichts aus personellen und organisatorischen Gründen (der Prozess wäre personell sehr umfangreich) nicht in Frage käme.
Rechtsanwalt Waldschmidt (für Herrmann) schliesst sich den beiden vorangegangenen Befangenheitsanträgen an, er sei an einigen Terminen ebenfalls verhindert und die Ablehnung Pröbstels, hier eine Lösung zu finden, lasse auf eine der Verteidigung gegenüber feindliche innere Haltung des vorsitzenden Richters schließen. Pröbstel erwidert, dass er auch für Herrmann keinen zweiter Verteidiger zulassen werde, in einem Umfangsverfahren wie diesem sei das möglich.
Das Argument, Herrmann hätte für Mai 2016 eine Reise gebucht und könne daher dem Prozess nicht beiwohnen, lässt Pröbstel ebenfalls nicht gelten, denn Herrmann hätte doch von dem bevorstehenden Verfahren gewusst und in diesem Bewusstsein trotzdem die Reise gebucht, demnach sei dies sein Fehler. RA Waldschmidt beantragt nun die Unterbrechung der Verhandlung, in der letzten Stellungnahme vor der Pause schliesst sich Rechtsanwalt Wolfram Nahrath, ebenfalls bekannter Szene-Anwalt, NPD-Mitglied und Vertreter Ralf Wohllebens im NSU-Prozess, dem Befangenheitsantrag von RA Schwarz (für Boitz) an, RA Olaf Klemke ebenso. Nahrath vertritt in diesem Prozess Marcus Rußwurm, den verurteilten Gewalttäter und Model für das extrem rechte Modelabel „Ansgar Aryan“.
Nach der Unterbrechung nimmt die Staatsanwaltschaft Stellung zu einigen von der Verteidigung vorgebrachten Anträgen: Ein Umzug des Prozesses in einen anderen Saal des Landgerichtes, wie ihn etwa RA Klemke vorgeschlagen hatte, um Termine an anderen Wochentagen als mittwochs zu ermöglichen, komme auf Grund der räumlichen Kapazitäten im Landgericht nicht in Frage. Pröbstels Ablehnung gegenüber Klemkes Ersuchen sei also keine Voreingenommenheit, ebenso verhalte es sich mit dem Verhinderungsgrund des bereits gebuchten Urlaubs.
Pröbstel gibt nun zu Protokoll, dass es im Vorfeld keine Verfahrenabsprachen gegeben habe und von Seiten des Gerichts auch in Zukunft keine solchen Gespräche beabsichtigt seien. Würden Verfahrensbeteiligte eine Absprache anstreben, müssten sie auf das Gericht zukommen. Auf Lemkes Einwand, er wolle Verfahrensabsprachen doch wohl nicht ausschließen, präzisiert Pröbstel: man habe Verfahrensabsprachen auch in vergangenen Verhandlungen selten zugelassen, es stehe den Verfahrensbeteiligten jedoch frei, ein Gespräch zu suchen.
Nachdem mehrere Anwälte der Verteidigung erneut „unaufschiebbare Anträge“ vorbringt, die sie mit ihren jeweiligen Mandanten besprechen müssten, bietet Pröbstel eine Unterbrechung von zwei Stunden an. Es folgt ein kurzes Wortgefecht darüber, ob Lemke vom vorsitzenden Richter und der Staatsanwaltschaft vorgeworfen wurde in einem seiner Anträge „nicht die Wahrheit gesagt“ oder, wie er anführt, der Lüge bezichtigt worden sei.
Die Verhandlung wird unterbrochen, Lemke weist jedoch noch darauf hin, dass Martina Renner (MdB) im Saal sei, dies aber seiner Auffassung nach nicht sein dürfe, da sie auf Grund ihrer Beteiligung an Demonstrationen gegen das sogenannte „gelbe Haus“ eine potentielle Zeugin im Verfahren sei. Der vorsitzende Richter entgegnet jedoch, dass eine Befragung nach heutigem Stand noch nicht in Frage käme.
Nach der Mittagspause beginnt die Verhandlung mit einem Befangenheitsantrag durch Verteidiger Schwarz, durch die Verteidigung Pommer (RA Maik Kuntze) erneut wegen nicht abgestimmter Termine, die Verteidigung Herrmann schließt sich ebenso wie RA Wolfram Nahrath den Befangenheitsanträgen an.
Pröbstel fasst zusammen, dass damit die gesamte 3. Strafkammer des Landgerichts Erfurt von der Verteidigung abgelehnt werde und die Vertreterkammer über die Befangenheitsanträge entscheiden müsse. Der Prozess müsse daher auf den 16.12.2015 vertagt werden.